In der Not...

■ Zur Regierungserklärung von Eberhard Diepgen KOMMENTAR

In Regierungserklärungen werden selten sprachliche und intellektuelle Glanzlichter gesetzt. Was Eberhard Diepgen gestern für die Zukunft Berlins bot, riß jedoch nicht einmal die eigenen Reihen mit. Als Reaktion nur müder Beifall. Die Lage der Stadt, das ist dem letzten Hinterbänkler klar, bietet kaum Anlaß für Euphorie. Das klang gestern auch zum ersten Mal öffentlich in einer Rede des neuen Regierungschefs an: Er beschwor zwar die goldene Zukunft Berlins in der Mitte Europas, er korrigierte jedoch mehrfach Wahlversprechen der CDU. Die Angleichung der Lebensverhältnisse wird viel länger dauern, als mancher sich heute noch träumen lassen mag. Und auch wenn der Westteil als Maßstab für den Lebensstandard angelegt werden soll, wird bei der katastrophalen Haushaltslage auch hier gekürzt werden müssen. Herr Diepgen weiß das ebensogut wie jedes andere Senatsmitglied. Die Kunst besteht darin, das den BerlinerInnen, vor allem den WestberlinerInnen, beizubringen. Es gilt also, Optimismus zu verbreiten. Das Zauberwort ist bereits gefunden: das »Unternehmen Berlin«, das bald schwarze Zahlen schreiben soll. Die gesamte Politik, darin ließ Diepgen keinen Zweifel, wird dem Primat der Wirtschaft untergeordnet. Technologietransfer, Verknüpfung von Wissenschaft und Industrie, Konzernansiedlung: das sind die Methoden, auf die man in der Not setzt. Die Kündigung von 2.600 SEL-Mitarbeitern signalisiert jedoch alles andere als wirtschaftlichen Aufschwung. Die große Koalition steht unter riesigem Erfolgszwang: Das Unternehmen Schwarz-Rot muß das Unternehmen Berlin bewältigen. Der große Entwurf ist bisher nicht in Sicht. Der Trost: Japanische Investoren setzen, so glaubt Diepgen, gleich nach Shanghai auf Berlin... Kordula Doerfler