Diepgen setzt auf »Unternehmen Berlin«

■ Regierungserklärung im Abgeordnetenhaus/ Sitz von Parlament und Regierung unverzichtbar/ Angleichung der Lebensverhältnisse dauert

Schöneberg. Berlin drängt auf eine Entscheidung über den Regierungssitz: Diese Forderung stellte der neue Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) gestern in den Mittelpunkt seiner Regierungserklärung vor dem Abgeordnetenhaus. Knappe eineinhalb Stunden erläuterte der Senatschef die Schwerpunkte der künftigen schwarz-roten Politik; die Aussprache über die Rede findet allerdings erst in vierzehn Tagen statt. »In angemessener Frist«, so Diepgen, müsse eine Entscheidung über den Sitz von Regierung und Parlament getroffen werden. Neben historischen und ökonomischen Gründen sei auch wegen der politischen Machtverteilung im vereinten Deutschland eine Entscheidung zugunsten Berlins geboten. Der politischen und wirtschaftlichen Machtkonzentration am Rhein hätten die neuen Bundesländer und Berlin bislang nichts entgegenzusetzen. »Deutschland droht eine Zweiklassengesellschaft zu werden: Mit dem reichen, einflußreichen Westen einerseits und dem erheblich ärmeren, einflußlosen Osten — wozu dann leider auch Berlin gezählt werden muß — andererseits.«

Als Ziel der Regierungspolitik für Berlin nannte Diepgen erneut die Angleichung der Lebensverhältnisse in beiden Teilen der Stadt. Maßstab sei der Westberliner Standard. Hier mußte der Regierungschef allerdings schon Einschränkungen machen: Die Westberliner müßten sich darauf einstellen, daß z.B. eine Wohnumfeldverbesserung erst »in zwei oder drei Jahren« realisiert werde, ebenso wie eine geplante Krankenhausrenovierung. Auch in die Richtung der Ostberliner wurde zum ersten Mal deutlich vor übertriebenen Hoffnungen gewarnt: »Der Wiederaufbau braucht Zeit.« Ehe beispielsweise die Unterschiede im Straßenbild verschwunden seien, werde »noch eine ganze Reihe von Jahren vergehen«. »Wenn auch die gleichen Lebensverhältnisse nicht überall in wenigen Jahren zu erreichen sein werden, so will der Senat dieses Ziel aber in wichtigen Bereichen sehr schnell realisieren«, versprach Diepgen. Eine große Koalition sei in der schwierigen Lage der Stadt »vernünftig«.

Um dieses Ziel zu erreichen, setzt die große Koalition voll auf die Entwicklung des Wirtschaftsstandortes Berlin. Diepgen kreierte in seiner Rede den Begriff des »Unternehmens Berlin«, das bald wieder schwarze Zahlen schreiben müsse. Der neue Senat setzt dabei vor allem auf eine enge Zusammenarbeit von Wissenschaft und Wirtschaft (siehe auch Interview auf Seite 28). Auch hier mußte Diepgen Abstriche einräumen: Der Berliner Haushalt werde in Zukunft besonders hart getroffen. »Wir werden nicht in der Lage sein, alle Leistungen im bisherigen Umfang und im Rahmen bisher gewünschter Entwicklungen weiter zu erbringen.« Berlin müsse sparen, aber dennoch gestalten. Berlin müsse der engste wirtschaftliche Partner Brandenburgs werden und die alten Verbindungen zu Osteuropa nutzen. Japanische Investoren halten nach den Worten Diepgens »Berlin neben Schanghai für einen der interessantesten Standorte der Zukunft«. Woraus er dieses Wissen schöpft, wollte er aber nicht verraten. kd