Ein Fußball ist besser als eine Ananas

England besiegte bitterlich frierende Kameruner nach schwachem Spiel mit 2:0/ Roger Milla verweigerte mangels Antrittsprämie seine Einwechslung/ Paul Gascoigne blieb tränenfrei  ■ Von Ralf Sotscheck

Wunder lassen sich nicht wiederholen. Das mußte auch der englische Fußballverband einsehen. Nach dem hochklassigen und überaus spannenden Viertelfinale zwischen England und Kamerun bei der Weltmeisterschaft im vergangenen Jahr kam den Funktionären die Idee, zum ersten Mal eine afrikanische Mannschaft ins Londoner Wembley-Stadion einzuladen. Damals in Neapel gewannen die Engländer durch zwei Elfmetertore von Gary Lineker in der Verlängerung mit 3:2. Diesmal konnte von einem rauschenden Fußballfest jedoch keine Rede sein. Die Atmosphäre war bereits vor dem Spiel vergiftet.

Kameruns Fußballopa Roger Milla, der durch seinen Bauchtanz an der Eckfahne nach jedem erzielten Tor berühmt geworden ist, verlangte ein Startgeld in Höhe von 50.000 Pfund (zirka 150.000 Mark). Der Neununddreißigjährige sagte vor dem Spiel: „Wenn achtzigtausend Menschen nach Wembley kommen, dann sind sie meinetwegen da. Es ist also völlig normal, wenn ich dafür eine Prämie bekomme. Ich bin schließlich als viertbester Spieler der Weltmeisterschaft ein Ehrengast.“ Der englische Fußballverband sah das anders: „Wir lassen uns doch nicht erpressen“, meinte der Funktionär Glen Kirton. Milla machte seine Drohung wahr und spielte nicht.

Seine Kollegen waren ebenfalls unzufrieden mit der englischen Gastfreundschaft. „Wir sind jetzt seit zwei Tagen hier, und niemand kam bisher zur Begrüßung“, beklagte sich Kameruns Verbandspräsident Simon Njikam. „Wenn man jemanden einlädt, ignoriert man seine Gäste nicht.“ David Barber, der für die Betreuung der Gäste zuständig war, entgegnete: „Er versteht wohl nicht, wie wir das hier handhaben.“ Vermutlich hatte er die Einladung Kameruns längst bereut.

Mit Kameruns Fußballteam war es nach der Weltmeisterschaft stetig bergab gegangen. Als die Amateure erfuhren, daß ihr Verband 4,5 Millionen Mark in Italien eingenommen hatte, forderten sie ihren Anteil. Da sich der Verband jedoch weigerte, kam es zum Spielerstreik. Die Ersatzmannschaft steckte eine Schlappe nach der anderen ein: 1:2 gegen den Kongo, 1:6 in Norwegen. Ende Dezember hatte Njikam ein Einsehen und rückte 150.000 Mark pro Spieler raus, so daß Trainer Philippe Redon sein bestes Team aufbieten konnte — bis auf Milla.

Das nützte jedoch nichts. Das Spiel begann, wie die Begegnung in Neapel aufgehört hatte: mit einem Foulelfmeter, den Lineker verwandeln konnte. Er hatte mit seinem gewaltigen Schuß direkt auf Torwart Bell gezielt, der jedoch noch rechtzeitig zur Seite springen konnte. Bei Kamerun blitzte nur gelegentlich so etwas wie Spielfreude auf, torgefährlich wurde es jedoch nie: Während der gesamten neunzig Minuten spielten die Afrikaner keine einzige Chance heraus. Darüber hinaus mußte Kana Biyick drei Minuten vor der Pause verletzt vom Platz getragen werden.

Die eisige Kälte trug mit Sicherheit zu dem schwachen Spiel bei. Ohnehin ist es rätselhaft, warum der englische Verband das Spiel ausgerechnet für Februar angesetzt hatte. Seit acht Jahren hat England im Winter kein Heimspiel mehr ausgetragen. Kameruns Spielern war deutlich anzumerken, daß sie froren. In Kamerun herrschen zur Zeit Temperaturen von 32 Grad.

Doch auch bei den Engländern lief es nicht nach Wunsch. Nachdem vier Stammspieler abgesagt hatten, durfte der normalerweise ständig verletzte Kapitän Bryan Robson zum ersten Mal seit fast einem Jahr wieder mitspielen. Robson war der Lieblingsspieler seines Namensvetters Bobby Robson. Englands neuer Trainer Graham Taylor hält jedoch nicht viel von ihm: „Ich bin froh, daß die Situation jetzt schon eingetreten ist, wo er spielen muß. Ich will das nicht immer über mir schweben haben.“ Nach siebzig Minuten war das Kapitel Robson für Taylor offenbar erledigt. Der Kapitän wurde ausgewechselt. Das gleiche Schicksal erlitt Paul Gascoigne, in Italien als „Entdeckung der Weltmeisterschaft“ gefeiert. Zur Erleichterung von Millionen an den Fernsehschirmen brach „Gazza“ nicht in Tränen aus, als er vom Spielfeld geholt wurde.

Obwohl die Engländer drückend überlegen waren, gelang lediglich Lineker in der 61. Minute nach einer Ecke ein weiteres Tor. Wie eine Spitzenmannschaft spielten sie jedoch nicht, und so war das erfreulichste Ereignis des Spiels der pünktliche Abpfiff des holländischen Schiedsrichters Blankenstein.

Graham Taylor war dennoch zufrieden. Nach dem Spiel sagte er: „Es ist immer schwer, gegen eine Mannschaft zu spielen, die gar kein Tor erzielen will.“ Roger Millas Erklärung für den mäßigen Auftritt seiner Kollegen klang da schon plausibler: „Die Bedingungen für Fußballer in Kamerun sind nicht gut. Ich mußte früher mit einem in Bananenblätter eingewickelten Stein spielen, manchmal auch mit einer Ananas. Es ist ein großer Vorteil, wenn man mit einem richtigen Ball spielen kann. Er ist irgendwie leichter zu kontrollieren.“