Tarnung für Rüstungsexporte?

■ Herr Möllemann, die Bundesregierung und die deutschen Waffenexporte. ANALYSE

Rüstungsexporte sind seit Beginn des Golfkrieges in aller Munde. Der neue Bundeswirtschaftsminister Möllemann sucht sich als tatkräftiger Amtsneuling zu profilieren, der den „Exporteuren des Todes“ nunmehr zu Leibe rücken will. Doch am Beispiel der bundesrepublikanischen Politik gegenüber dem Irak wird deutlich, daß die geforderten schärferen Kontrollen nicht nur am Kern des (politischen) Problems vorbeigehen, sondern eher geeignet sind, die alte verrufene Praxis unter einem neuen Mäntelchen fortzusetzen.

Möllemann und die arabische Aufrüstung

Die Ernennung Möllemanns zum obersten Exportkontrolleur der Rüstungswirtschaft ist ein makabrer „Glücksfall“. Kaum ein anderer Politiker verkörpert den Opportunismus und die Doppelmoral bundesdeutscher Rüstungspolitik der vergangenen zehn Jahre besser als er. Während heute alle Welt vor der Bedrohung Israels erschauert, so muß daran erinnert werden, daß er es war, der sich am vehementesten für den Export des Leopard-2-Panzers nach Saudi Arabien einsetzte — gegen den heftigen Protest der israelischen Regierung. Damals verkündete das Vorstandsmitglied der Deutsch-Arabischen Freundschaftsgesellschaft: „Die Lieferung von Waffen an den Golf ... wäre ein Beitrag zur Stabilität einer aufgrund der Bedrohungslage zunehmend instabiler zu werden drohenden Region und damit ein Beitrag zur Friedenssicherung ... auch insofern entspräche Rüstungsexport dorthin unseren spezifischen außen-, sicherheits- und wirtschaftspolitischen Interessen.“

Das Geschäft mit den „Leos“ kam bekanntlich unter Schmidts Kanzlerschaft nicht zustande. Stattdessen trat 1983 ein Kanzler Kohl sein Amt an, er versprach, „Frieden (zu) schaffen mit immer weniger Waffen“. Möllemann avancierte zum Staatsminister im Auswärtigen Amt. Wie er dieses Motto mit seinen Rüstungsexport-Vorstellungen vereinbaren könne, wollten damals die Grünen von ihm wissen:

„Die Genehmigung der Ausfuhr von Waffen würde nicht im Gegensatz zu der von der Bundesregierung auch für Europa verfolgten Politik stehen, ein Gleichgewicht auf möglichst niedrigem Niveau der Rüstung zu schaffen.“

Konkret bedeutete dies das Aufrüsten jenes Irak, der drei Jahre zuvor unter Saddam Hussein den Iran überfallen hatte und diesen Krieg zu verlieren drohte. Die Erschütterung der Bundesregierung über die irakischen Raketen und den Besitz von Giftgas ist heuchlerisch, waren die deutschen Behörden und Ministerien doch hierüber nicht nur bestens informiert, sondern wirkten auch an der Lieferung der dafür notwendigen Technologie teils vorsätzlich, teils grob fahrlässig mit.

Legal und halblegal: Waffen für Hussein

„Die Bundesregierung hat in keinem einzigen Fall seit Ausbruch des Golfkrieges die Lieferung von Waffen nach Iran genehmigt.“ (Möllemann 1981)

Diese Aussage des damaligen Staatsministers ist ebenso falsch, wie Behauptungen seines damaligen Chefs und Parteifreundes Genscher im ZDF, wonach es seit 1961 keine bundesdeutschen Waffenexporte in den Irak gegeben habe. Gegenüber den Grünen mußte die Bundesregierung in der Drucksache 11/8482 zugeben, daß von 1982 bis 1986 jährlich Waffen, Munition und Rüstungsgüter, entsprechend Teil I Abschnitt A der Ausfuhrliste, Ausfuhrgenehmigungen im Wert zwischen vier und 237 Millionen DM erteilt worden waren. Gesamtsumme: 334 Millionen DM für den Irak.

Doch damit nicht genug. Hinzuzurechnen sind jene Waffen und Rüstungsgüter, welche in multinationalen Koproduktionen unter Beteiligung renommierter deutscher Firmen an den Irak gingen.

Während des Irak-Iran-Krieges wurden so rund 5.000 Panzerabwehrraketen des Typs Hot samt 166 Abschußanlagen, 4.564 des Typs Milan sowie 1.050 Luftabwehrraketen des Typs Roland mit 136 Werfern an Hussein geliefert. Produziert wurden die Waffen von der Firma Euromissile, einem deutsch-französischen Gemeinschaftsunternehmen von MBB und Aerospatiale. Dieses Raketengeschäft wurde von der Bundesregierung durch ihren Staatsminister Möllemann wie folgt kommentiert: „Der Bundesregierung sind, anders als gelegentlich in den Medien berichtet wird, keine Angaben über sogenannte Umweglieferungen bekannt geworden, wonach Waffen oder Waffenteile entgegen der vom Empfänger vorzulegenden Erklärung über den Endverbleib in eines der kriegsführenden Länder weitergeliefert worden wären.“

Zwar enthält die Antwort tatsächlich ein Körnchen Wahrheit, die Wirklichkeit wurde allerdings mehr vernebelt als erhellt. Zwar dürfen keine Waffen in Spannungsgebiete exportiert werden, aber Waffenteile dürfen selbst dann ausgeführt werden, wenn nach dem Zusammenbau im Ausland die so entstandene „neue Waffe“ in Drittländer geht, die in kriegerischen Auseinandersetzungen stehen. Für das fertige neue System gelten die bundesdeutschen Endverbleibsregeln nicht. Von Umweglieferungen kann in diesem Falle also gar nicht die Rede sein.

Dies umso weniger, als bei solchen Koproduktionen wie bei Euromissile oder der Lieferungen von Alpha-Jet an den Irak, die Bundesregierung — wenn auch ohne Vetorecht — zu konsultieren war. Davon jedoch, daß diese „nein“ gesagt haben soll, wurde bisher nichts bekannt. So kann wohl angenommen werden, daß die Lieferungen an den Irak eben nicht „entgegen der vom Empfänger vorzulegenden Erklärung“ (Möllemann), sondern mit Wissen und Billigung deutscher Behörden erfolgte.

Eine Praxis, die den US-Senat zu der Feststellung veranlaßte: „Westdeutschland umgeht seine eigenen Vorschriften durch Koproduktion von Waffen mit anderen Nato-Ländern.“

Möllemann wiederholte auf Anfragen der Grünen bezüglich der irakischen Giftgasproduktion noch 1988: „Dazu liegen unserem Hause bisher keine konkreten Erkenntnisse vor.“ Zu diesem Zeitpunkt war es aber schon zu den ersten Giftgaseinsätzen Husseins gekommen. Erst im Jahre 1990 korrigierte die Bundesregierung ihre Aussage von 1984 und gab zu, „daß die nach Sammara gelieferte Anlage besonders für die Giftgasproduktion konstruiert wurde“. Die oben schon erwähnte Firma MBB lieferte über Spanien, beziehungsweise Österreich schätzungsweise 50 bis 75 Hubschrauber der Typen BO 105 und BK 117 an den Irak. Ersterer ist Ausgangsmodell des Panzerabwehrhubschraubers PAH 1 der Bundeswehr. Die Bundesregierung erklärte den BO 105 kurzerhand zur Zivilversion. Bei MBB wird das anders gesehen: „Nur ein Hubschrauber, der als echtes Mehrzweckgerät konzipiert ist, kann zugleich Panzerabwehr-, Verbindungs- und Beobachtungshubschrauber sein.“ Heißt es in einem Firmeninserat.

Ein anderer Fall: Gestützt auf frühere Liefergenehmigungen an den Iran, exportierte 1988 die Bremer Phillips GmbH 800 Nachtsichtgeräte in den Irak, obwohl das Eschborner Bundesamt für Wirtschaft diese Lieferung untersagt hatte. Diese Nachtsichtgeräte werden nämlich bei der Infanterie, der Luftwaffe oder in Panzern zum Nachtkampf eingesetzt. Ein klarer Fall, sollte man meinen. Jedoch scheiterte die deshalb ermittelnde Staatsanwaltschaft — an Genschers und Möllemanns Auswärtigem Amt.

Dort hatte die Bremer Staatsanwaltschaft nämlich um eine gutachterliche Stellungnahme gebeten. Antwort des Auswärtigen Amtes: Eine solche erhebliche Störung würde nur dann vorliegen, „wenn die Bundesrepublik Deutschland im Hinblick auf das internationale Echo durch die illegale Ausfuhr der Nachtsichtgeräte nach Irak in eine Lage gebracht worden wäre, die es unmöglich gemacht oder zumindest ernsthaft erschwert hätte, ihre außenpolitischen Interessen zur Geltung zu bringen und glaubhaft zu vertreten“. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen wurde vom Auswärtigen Amt verneint. Im vorliegenden Fall entsprach offensichtlich die Steigerung der Nachtkampffähigkeit des Irak den „außenpolitischen Interessen der Bundesrepublik“. Vor diesem Hintergrund ist die Frage fast müßig, ob das Kontrollnetz in der Vergangenheit zu weit oder zu eng war. Entscheidende Aufrüstungen des Irak durch bundesdeutsche Firmen geschahen legal, halblegal oder mit der klammheimlichen Zustimmung oberster Bundesbehörden.

Hauptproblem seien die illegalen Exporte. Die jetzt angekündigten Maßnahmen deuten eher darauf hin, daß gerade in diesem Bereich weiterhin nach den Grundsätzen der politischen Opportunität operiert werden soll. Dies gilt insbesondere für die geplanten erweiterten Kompetenzen eines künftigen Zoll-Kriminalamtes gegen illegale Exporteure.

Statt mehr Geheimdienst bedarf es als ersten Schritt einer größeren Transparenz. Gerade hier zeigt sich die Bundesregierung extrem bedeckt. Sie will lediglich ein zentrales Register für Waffenexporte bei den Vereinten Nationen anstreben. Weitere Schritte, etwa zur Information der Bürgerinnen und Bürger lehnt sie ab, weil „Angaben zu Rüstungsexporten aus politischen Gründen ... nur ein begrenztes Maß an Publizität vertragen“ — wie wahr.

Um zumindest die parlamentarische Kontrolle nicht auf das Nachher zu beschränken, wäre es jedoch notwendig, künftig alle Ausfuhrgenehmigungen für Waren aus Teil I, Abschnitt A bis E, Außenwirtschaftsgesetz, über 10.000 DM vorher durch die zuständigen Bundestagsausschüsse genehmigen zu lassen.

Ein solches Verfahren garantiert noch keine Öffentlichkeit der Exporte, sondern vergrößert lediglich die Zahl der Mitwisser und könnte eine Reihe von Exporten verhindern. Ziel der jetzt laufenden Debatte muß jedoch ein Verbot sämtlicher Rüstungsexporte sein — am besten mit Verfassungsrang und mit entsprechender Strafandrohung.

Verbot aller Rüstungsexporte

Diese Forderung von Grünen und SPD wird von den regierenden Bonner Koalitionsparteien auch nach den Raketenangriffen auf Tel Aviv und Haifa durch mit deutscher Hilfe reichweitengesteigerten Scud-Raketen abgelehnt. Stattdessen wird mit Turgut Özal ein neuer Großmachtpolitiker, diesmal im Rahmen der Nato, gegen den ehemaligen Partner und heutigen Feind Hussein hochgerüstet. Insbesondere dieses Beispiel zeigt, wie unsinnig Vorstellungen sind, Rüstungsexporte nur im Bereich der Nato zuzulassen, wie von den CDU-Sozialausschüssen gefordert.

Hinzukommt, daß die anderen Nato-Staaten nicht bereit sind, sich solchen Exportbeschränkungen zu unterwerfen. Mithilfe der bekannten Koproduktionen würde ein auf Nicht-Nato-Staaten beschränktes Verbot ins Leere laufen. Daher gibt es zu einem einseitigen, totalen Ausfuhrverbot keine Alternative. Jürgen Trittin

Der Autor ist Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten in Niedersachsen und Mitglied der Grünen.