Ansturm auf ostdeutsche Frauenkliniken bleibt aus

„Abtreibungstourismus“ in die Ex-DDR blieb aus/ Nur vereinzelt ließen Wessi-Frauen nach dem 3.10. einen Abbruch im Osten machen  ■ Von Ulrike Helwerth

Berlin (taz) — Wohn- oder Tatortprinzip? Wer erinnert sich nicht an die hitzige Abtreibungsdebatte, die vergangenen Sommer nicht nur die Bonner Bühne beherrschte und die Verhandlungen über den Einigungsvertrag immer wieder zu blockieren drohte. GegnerInnen eines gespaltenen Abtreibungsrechts im geeinten Deutschland hatten damals lautstark einen neuen „Abtreibungstourismus“ heraufbeschworen.

Gut drei Monate nach der Vereinigung hat sich von diesen düsteren Prophezeihungen noch nichts bewahrheitet. Die westdeutschen Frauen, die sich seit dem 3. Oktober in ostdeutsche Kliniken begeben haben, um dort nach der Ex-DDR-Fristenlösung abzutreiben, lassen sich noch an den Fingern abzählen. Selbst in Thüringen, Nachbarland von Bayern, ist der große Run ausgeblieben. In der Frauenklinik des Bezirkskrankenhauses Suhl haben zwei Frauen aus Bayern seit dem vergangenen Oktober vorgesprochen. Zur großen Überraschung des Klinikpersonals, das mit einem „Riesenansturm“ gerechnet und deshalb eine Station für die Wessis „extra umprofiliert“ habe, so Chefarzt Ulrich Retzke. Der Gynäkologe ist auf der anderen Seite „hocherfreut“, daß die westdeutschen Frauen bisher ausgeblieben sind, weil sowieso schon „so furchtbar viele Abbrüche“ gemacht würden. Doch eine Zunahme der Abtreibungen in seiner Klinik konnte er im vergangenen Jahr nicht feststellen, obwohl 1990 dort rund fünf Prozent weniger Kinder geboren wurden. Diesen Rückgang führt Retzke auf die zunehmende Arbeitslosigkeit und die soziale Unsicherheit zurück. Die ostdeutschen Frauen, vermutet der Klinikchef, seien heute eher zu einer „bewußteren Kontrazeption“ bereit als früher. Denn sie könnten sich weder ein weiteres Kind noch die mit einem Abbruch verbundenen Krankzeiten finanziell leisten.

Daß der Ansturm der Frauen aus Bayern im Osten bisher ausgeblieben ist, ist jedoch kein Hinweis darauf, daß im Freistaat die Abtreibung inzwischen liberalisiert worden ist. Nach wie vor reisen viele Frauen aus den deutschen Südstaaten zum Schwangerschaftsabbruch in andere Bundesländer. Abschreckend an ostdeutschen Klinken ist aber, daß dort nach wie vor Abbrüche nur stationär (drei bis fünf Tage Krankenhausaufenthalt) und nicht ambulant vorgenommen werden. Außerdem gibt es ebenso Vorbehalte gegen die dortige medizinische Behandlung.

Auch in den Kliniken im Ostteil von oder um Berlin herum sind kaum Westberlinerinnen wegen einer Abtreibung vorstellig geworden. In die „Gyn“ der Ostberliner Charité kamen höchsten zehn, laut Auskunft des Leiters der Poliklinik, Hegenscheidt. Auch im Oskar-Ziethen- Krankenhaus waren es seit dem 3.Oktober nicht mehr als zehn, wie Dirk Elling, Chef der dortigen Gynäkologie berichtet. Daß auch in anderen Bundesländern die Wessis ausgeblieben sind, führt er darauf zurück, daß die Indikationsregelung in der alten BRD „längst nicht mehr so starr“ angewandt werde. Außerdem sei jede Fahrt in eine ostdeutsche Klinik noch immer eine „unbequeme Fahrt ins Ungewisse“. Die Westberliner Gynäkologin und Beraterin bei Pro Familia, Gabi Halder, hat die Erfahrung gemacht, daß eher Ostberlinerinnen nach Westberlin kommen, um sich dort über einen gut durchgeführten, ambulanten Abbruch zu informieren.

Auf eine gesamtdeutsche Abtreibungsregelung müssen sich die GesetzgeberInnen — laut Einigungsvertrag — bis spätestens Ende 1992 geeinigt haben. Von den Bonner Koalitionsverhandlungen blieb das Thema Paragraph 218 aber wohlweislich ausgeklammert. Kanzler und CSU waren sich einig, daß sie zunächst abwarten wollten, wie das Bundesverfassungsgericht auf die Klage reagiert, die die bayerische Regierung gegen die zu laxe Handhabung des Paragraphen und die „Abtreibung auf Krankenschein“ vor knapp einem Jahr eingelegt hat.

Doch Karlsruhe und die FDP machen bei diesem Spiel auf Zeit nicht mit. Die Verfassungsrichter signalisierten, daß sie erst entscheiden wollen, wenn sich die Bonner Regierung auf eine einheitliche Regelung verständigt hat. Die Liberalen haben seit letztem Herbst einen Gesetzentwurf für eine Fristenlösung mit Zwangsberatung parat. Und der soll spätestens im Februar in der neuen Bonner FDP-Fraktion beraten und dann im Bundestag eingebracht werden.