Ost-Berlin: Fahnenstreit im Haus der Demokratie

■ Golfkriegdebatte findet in den Bürgerbewegungen nicht statt/ Geschäftsführer von Demokratie Jetzt trat aus

Berlin (taz) — „Da hing monatelang die DDR- Fahne, da hängen rote Fahnen — keiner hat sich daran gestört“, bemerkt Thomas Voit, Geschäftsführer von Demokratie Jetzt. Aber jetzt stören zwei: Am Büro von DJ im Haus der Demokratie in der Friedrichstraße hingen die Fahne Israels und die der UNO.

„Eine Schande“, rief eine Frau in den Saal, als sich am Wochende hundert Delegierte von DJ und der Initiative für Frieden und Menschenrechte (IFM) im Wilhelm-Pieck-Saal im Haus der früheren SED-Bezirksleitung in Berlin trafen, das seit der Wende als Haus der Demokratie den Bürgerbewegungen als Zentrale dient: „ein Grund zum Austritt“. Voit wollte mit den Fahnen am Balkon von DJ die bisher unterbliebene Diskussion um den Golfkrieg provozieren. Zunächst hatte er sogar die US-Fahne aufgehängt, nach einem ersten Sturm der Entrüstung aber dann durch die beiden anderen ersetzt. Dazwischen hing ein Tuch mit der Aufschrift „Bündnis 90/Demokratie Jetzt“. Auf der Delegiertenversammlung war keine Debatte um die Haltung zum Golfkrieg vorgesehen, wohl aber zwei Stunden Information durch VertreterInnen der irakischen Opposition. Als das Thema der Fahnen außerplanmäßig zur Sprache gebracht wurde, kam prompt der Nichtbefassungsantrag. „Sagt mal, lest ihr hin und wieder Zeitung? Und wenn ihr dies tut, habt ihr, kaum daß bei euch die aufgezwungene Zensur der letzten Jahre nicht mehr besteht, eure eigene, um euch vor unbequemen Argumenten zu schützen?“, ging der verbitterte Geschäftsführer nach der Versammlung in einem offenen Brief seine politischen Freunde an.

Er hatte den Delegierten Kopien des Biermann-Textes Ich bin für diesen Krieg am Golf in die Tagungsmappe gelegt — keine Reaktion. Voit wurde auch nicht persönlich angesprochen, man ignorierte den Störenfried. Sein bissiger Kommentar: „Fein, ihr Helden der Demokratie, die ihr noch vor kurzem so fordernd demonstriert habt unter der Losung: ,Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden‘.“

In der Tat ist die westdeutsche Diskussion darüber, ob sich die Friedensbewegung auf die Forderung nach bedingungslosem Waffenstillstand einlassen kann, ohne objektiv dem Interesse Saddam Husseins zu dienen, in der ehemaligen DDR noch nicht angekommen. Der Kampf gegen die Diktatur müsse jetzt gegenüber dem Kampf für den Frieden zurückstehen, hatte die irakische Oppositionelle den Bürgerrechtlern erklärt — ohne Widerspruch oder auch nur Nachfragen zu provozieren. Seit' an Seit' demonstrieren in der ehemaligen DDR diejenigen, die auch beim Aufruf des alten SED-Regimes immer gegen Israel und gegen die Amerikaner waren, mit den Anhängern der Bürgerbewegungen. Als am Ende der Versammlung die Resolution eingebracht wurde, war die Hälfte der Delegierten schon unterwegs nach Hause. Eine Diskussion fand nicht statt. Demokratie Jetzt müsse sich „kompromißlos für eine Politik des gerechten Friedens für alle Beteiligten einsetzen“, beschlossen die Delegierten am Ende ihrer Versammlung. Was auch immer das heißen kann.

Die Bonner Fraktion von Bündnis 90 ist währenddessen durchaus nicht einer Meinung in Sachen Golfkrieg. Während Christina Schenk vom Frauenverband eher zur PDS-Position neigt, ist Konrad Weiss mit Rita Süssmuth zum Solidaritätsbesuch nach Israel gefahren. Einige der Abgeordneten stimmten, bei aller nach der Papierlage kompromißlosen Friedenspolitik, für Waffenlieferungen an Israel. Die Basisdelegierten von Demokratie Jetzt bekräftigten, daß sie ganz anders und viel basisdemokratischer sein wollen als Parteien. Wie ihre Abgeordneten zum Golfkrieg abstimmten, erfuhren sie aber am Montag aus der Zeitung. Höhnt DJ-Geschäftsführer Voit: „Trotzdem, die Bürgerbewegungen sind besser als die bösen Parteien, ihr müßt nur richtig daran glauben.“

Der Sprecherrat von DJ hat diese Woche zum Thema die politische Initiative ergriffen. Die Fahne habe die Bürgerbewegung DJ „im Blick einer allerdings nicht überzubewertenden Öffentlichkeit in eine sehr schwierige Situation gebracht“, hält das Protokoll fest. Die Handlungsweise des Geschäftsführers wird mißbilligt. „Als halbwegs beste Lösung“ beschloß das oberste Gremium der Bürgerrechtsbewegung, die als die intellektuellste unter den DDR-Oppositionsgruppen gilt, zwischen die israelische und die UNO-Fahne „eine viel größere weiße Fahne mit der Aufschrift ,Peace now‘“ zu hängen. Das Demokratie-Jetzt-Tuch wurde dafür abgehängt.

„Klappt eure Scheuklappen runter und hüllt euch in euer moralisches Mäntelchen“, verabschiedete sich der Geschäftsführer am selben Tag: „Macht weiter Freunde, aber ohne mich.“ Damit ist der neueste Mitgliederstand bei Demokratie Jetzt 627...

Klaus Wolschner