Serbische Großmachtträume bergen Sprengkraft

■ Die serbisch-nationalistischen Bewegungen außerhalb Serbiens erhalten Unterstützung durch Politiker und Intellektuelle aus Belgrad

Es ist gar nicht so lange her. Mitte der achtziger Jahre setzten sich in Serbien ein paar kritische Journalisten zusammen, um eine von der Kommunistischen Partei unabhängige Wochenzeitschrift, die 'Samouprava‘, zu gründen. Das war damals ein gewagter Akt politischer Unabhängigkeit, der alle hätte in den Knast bringen können. Das wurde deutlich, als kaum ein paar hektographierte Seiten fertiggestellt waren. Da stand schon die Polizei vor den Wohnungstüren und wies das tapfere Häuflein aufrechter Intellektueller darauf hin, daß „solche dekadenten westlichen Ideen keinen Platz in Jugoslawien“ hätten. Kaum jemand ergriff für sie Partei, auch nicht der damalige Bürgermeister von Belgrad, der Genosse Slobodan Milosevic.

Heute ist Slobodane, „der Freimütige“, wie ihn seine Anhänger nennen, Präsident Serbiens und Vorsitzender der „Sozialistischen Partei“, die im Zuge der Demokratisierung aus dem alten Kommunistischen Bund hervorgegangen ist. Das ging ohne Brüche vor sich, die alten Strukturen sind intakt geblieben, die alten Leute sitzen weiter an der Spitze der neuen Partei. Doch immerhin darf 'Samouprava‘ jetzt erscheinen. Dragomir Olujic, der früher im Untergrund noch dabei war, möchte heute aber nicht mehr mitarbeiten. Der Grund: Die Zeitschrift folge jetzt allzusehr der nationalistische Linie von Milosevic. „Die ehemals kritischen Intellektuellen spielen sich jetzt als die Retter der Nation auf“, meint Olujic, ihre Berichterstattung drehe sich nicht mehr um die demokratische Erneuerung, sondern gehe nur noch auf die serbischen Minderheiten in den anderen Republiken ein. Überall, wo Serben wohnen — ob in der mazedonischen Stadt Kumonovo, in Kosovo Polje im Kosovo, in Knin in Kroatien, in Bosnien, in Podgrad in Slowenien oder in der muslimanischen Enklave in Serbien, dem Sandschak —, überall schwirrten sie aus, um die Unterdrückung der Serben aufzuspüren — mit dem einen Ziel, alle Serben in einem Großreich zu vereinigen.

Um diesem Ziel näher zu kommen, wurde im letzten Juli der „Serbische Nationalrat“ gegründet. Einer ihrer Führer, Milan Babic, ein 34jähriger Arzt, begründet dieses Einheitsstreben so: „Sollte Jugoslawien zusammenbrechen und die jetzigen Grenzen der Republiken erhalten bleiben, dann müßten wir Serben in vier Republiken leben. Welches Volk der Welt wünscht sich, wie die Kurden behandelt zu werden?“ Der Einwand, daß aber gerade seine Einheitsbewegung die Zerstörung Jugoslawiens beschleunigt, ja sogar einen Bürgerkrieg provoziert hat, zieht bei ihm nicht. Die anderen, die Albaner, Mazedonier, Kroaten und Slowenen zielten nur darauf ab, die Serben als Sündenböcke hinzustellen. „Wir Serben haben dieses Komplott viel zu spät erkannt. Möglicherweise können wir unsere Heimat nur noch mit der Waffe in der Hand verteidigen.“

Und so ertönte am letzten Wochenende — von Kumanovo bis nach Knin — der Ruf nach den Waffen. Zehntausende Serben gingen auf die Straße. Selbst in New York und in Australien regten sich serbische Demonstranten. Babic leugnet die Rolle des „Nationalrates“ bei der Organisation der Demonstrationen nicht; die Nationalbewegung außerhalb Serbiens habe zwar vor einem Jahr spontan begonnen, jetzt aber durch Intellektuelle und Politiker aus Serbien Unterstützung erhalten.

Welche Sprengkraft die Bewegung der Serben hat, zeigt sich vor allem im kroatischen Knin, wo ein „autonomes serbisches Gebiet“ ausgerufen wurde. Anordnungen von der kroatischen Regierung werden nicht mehr anerkannt. Damit stellen sich die Nationalisten selbst gegen den kürzlich abgeschlossenen Kompromiß zwischen kroatischer Regierung und der Armee. Trotzdem gibt sich Babic zuversichtlich, in den Enklaven „autonome Gebiete“ errichten zu können. Erstes Ziel sei die Angliederung der mazedonischen Stadt Kumanovo an Serbien.

Das aber stößt schon jetzt auf die militante Gegenwehr der mazedonischen Nationalisten, die dem sicher nicht kampflos zusehen werden. Auch in Bosnien, wo die Bevölkerung bis ins kleinste Dorf in der Regel gemischt ist, will die muslimanische Mehrheit erbitterten Widerstand leisten, wenn die Republik zwischen Kroatien und Serbien aufgeteilt werden sollte. Für Dragomir Olujic ist das eine bedrückende Perspektive: „Alle wollen ihren Nationalstaat und danach die Demokratie. Aber nur wenn wir umgekehrt vorgehen, können wir den Krieg verhindern. Es kann gar nicht gutgehen bei diesem Vielvölkergemisch.“ Roland Hofwiler/er