: „Im Augenblick keine geschlossene Kraft“
■ Vier Aktive der Bremer Friedensbewegung im taz-Streitgespräch / „Patentantworten gibt es nicht“
Vier Wochen nach Beginn des Golf-Kriegs hat die taz vier BremerInnen zum Streitgespräch gebeten, die in der Friedensbewegung aktiv waren und sind: Die Tunesierin Sadia Ghelala-Schlinke, Mitglied der internationalen autonomen Frauengruppe „De Colores“, Ingeborg Kramer, seit Jahren an den Friedens-Mahnwachen aus dem Kreis der Ev. Frauenarbeit beteiligt, Martin Lugenbiehl, für sich selbst sprechend, aktiv in „Krieg dem Krieg '91“ und Hans-Jügen Kröger, Vorsitzender der Ortsverwaltung der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen in Bremen.
taz: Sadia, hat es Dir gereicht, was bisher in der Friedensbewegung gelaufen ist, hat das was gebracht?
Sadia Ghelala-Schlinke: Ich befürchte, daß die Friedensbewegung jetzt durch den großen Mangel an Informationen in Schwierigkeiten, bis hin zur Gefahr der Spaltung kommt. Die Aktivitäten haben sich schon reduziert. Und jetzt wollen sich alle erstmal informieren. Das finde ich auch in Ordnung, aber die Frage ist, wie lange das dann dauert. Jeden Tag ist doch Krieg, und die Leute sitzen hier und diskutieren. Einerseits wäre das ein Vorwurf, andererseits sehe ich auch ein, daß die Informationen jetzt erstmal wichtig sind. Ohne diese Informationen war es ja auch möglich, daß Menschen hier für diesen Krieg marschiert sind, mit Fahnen der USA und Israels. Information ist notwendig, aber man verliert Zeit damit. Die Friedensbewegung ist ein bißchen spät wach geworden.
Ingeborg Kramer: Ich kann nur sagen, daß wir direkt nach dem Einmarsch in Kuwait vor dem Krieg gewarnt haben. Das war natürlich nur eine ganz kleine Gruppe. Aber jetzt müssen wir alle einig sein, daß der Krieg sofort gestoppt wird. Und dann müssen natürlich dringend Informationen nachgeliefert werden. Das Schlimme ist ja, daß wir im ganzen letzten Jahr nur mit einer Sache beschäftigt waren: dem Anschluß der DDR. Das hat alles überdeckt.
Hans-Jürgen Kröger: Was die Gewerkschaften angeht, muß ich selbstkritisch anmerken, daß wir den möglichen Krieg verschlafen haben. Man hätte ja sehen können, daß alles auf einen Krieg zuläuft. Alle Gewerkschaften im DGB haben zu spät darauf reagiert. Ein bißchen liegt das sicher auch an der offiziellen Desinformations-Kampagne: Erst jetzt kommt ans Tageslicht — allerdings nur in ganz bestimmten Zeitungen —, daß die USA das Handelsembargo nicht ernst genommen, sondern seit August unmittelbar auf den Krieg zugearbeitet haben. Das habe ich auch falsch eingeschätzt. Jetzt deutet wirklich alles darauf hin, daß das alles eine Generalstabsaktion war und die USA überhaupt kein Interesse hatten, zu verhandeln. Den USA und den Alliierten geht es nicht um die Menschenrechte. Es geht ihnen darum, ihre Vormachtstellung in der Dritten Welt auszubauen und die Ölquellen zu sichern. Wir müssen den Krieg jetzt sofort stoppen und verhandeln.
Es ist doch seit vielen Jahren bekannt und immer wieder vorexerziert worden, daß die USA ihren Daumen auf der Dritten Welt haben. Wie kann es sein, das es da jetzt plötzlich so ein großes Informationsdefizit gibt?
Martin Lugenbiehl: Zum einen werden durch die offizielle Informationspolitik die Verbrechen der westlichen Länder in der Dritten Welt gezielt verschwiegen. Zum anderen hat aber auch die Friedensbewegung Anfang der 80er Jahre viele Fakten nicht berücksichtigt und nur auf die Angst vor den Atomraketen gesetzt.
Kaum ist der Krieg ausgebrochen, ist jetzt schon wieder von der Spal
tung der Anti-Kriegs-Bewegung die Rede. Woran liegt das?
Sadia Ghelala-Schlinke: Scheinbar ist in den Köpfen der Leute immer noch nicht klar, daß der Hauptkriegstreiber die USA sind. Es gab in der Friedensbewegung Anfang der 80er Jahre keine genaue Analyse der US-Politik. Und seit der Maueröffnung haben sich die Deutschen völlig von der Außenwelt abgeschottet. Immer diese Deutschtümelei, ich hatte schon gar keine Lust mehr, die Zeitung zu lesen.
Außerdem finde ich es unmöglich von den Grünen, der Friedensbewegung Anti-Amerikanismus und eine anti-israelische Haltung vorzuwerfen. Auch in Bremen haben grüne Politiker diese Unsicherheit in die Bewegung gebracht. Die Friedensbewegung muß anti-amerikanisch sein.
Ingeborg Kramer: Hinzu kommen die nicht bearbeiteten Schuldgefühle vieler Deutscher gegenüber Israel. Aus dieser Nichtbewältigung heraus wird jetzt gesagt: Wir müssen Israel schützen und das geht nur, wenn Saddam Hussein ausgeschaltet wird. Tatsächlich aber ist Israel gerade durch den Krieg am meisten gefährdet.
Ist die Friedensbewegung deshalb so erfolglos, weil sie zuwenig anti- amerikanisch ist?
Sadia Ghelala-Schlinke: Ja, an diesem Punkt fehlt die Geschlossenheit.
Hans-Jürgen Kröger: Die große Schwierigkeit ist aber, daß deutsche Firmen den Irak bei der Produktion von Giftgas unterstützt haben. Der Irak könnte Israel mit diesem Giftgas angreifen. Dagegen muß ich mich wehren. Auf der anderen Seite besetzt Israel völkerrechtswidrig palästinensisches Gebiet und hat immer eine Lösung zwischen den Völkern verhindert und keine einzige der UN-Resolutionen beachtet. Da habe ich Schwierigkeiten, eine einseitige Schuldzuweisung zu treffen.
Martin Lugenbiehl: Die einzige Antwort, die mir da einfällt: Die beste Selbstverteidigung für Israel wäre, sich sofort aus dem Libanon zurückzuziehen und den Palästinensern sofort ihre Selbstbestimmung zu ermöglichen.
hier bitte die
grauhaarige Frau
Ingeborg Kramer: „Ich selbst habe mich ertappt, daß ich sehr aggressiv wurde, als ich die Massen bis an die Zähne bewaffneter Polizisten sah“
Der Golf-Krieg wird ja nicht in Bremen entschieden. Aber könnt Ihr Euch für die nächste Zeit Aktionen vorstellen, die über kurze Verkehrsblockaden hinausgehen und wirklich eine Behinderung des Krieges wären, zum Beispiel gegen den Militär-Nachschub über die Bremer Häfen?
Martin Lugenbiehl: Ich denke schon, daß es Diskussionen in dieser Richtung gibt. Aber das wird nicht nächste Woche passieren.
Diskussionen gibt es bestimmt, aber gibt es auch praktische Mittel, die nicht nur symbolisch sind?
Martin Lugenbiehl: Die Machtverhältnisse in der Bundesrepublik sind nicht so, daß wir die Politik der Bundesrepublik und der NATO stoppen könnten. Trotzdem ist es natürlich gut und richtig, dahin zu gehen, wo die Waffen umgeschlagen werden und wo die Verantwortlichen sitzen. Das wurde in der letzten Zeit ja auch gemacht, zum Beispiel bei der versuchten Bahnhofs-Blockade und den Aktionen in Bremerhaven.
Die Gewerkschaften hätten es in der Hand: Generalstreik, und schon würde keine Verladung von Kriegsmaterial mehr laufen.
Hans-Jürgen Kröger: Die Gewerkschaft spiegelt natürlich auch nur die unterschiedlichen Meinungen der Bevölkerung wider. Früher war es immer so, daß man gesagt hat, die Basis ist fortschrittlich und die Führung ist reaktionär. Im Augenblick hat sich die Situation fast umgedreht: Viele Funktionäre sind sehr friedensbewegt und versuchen, etwas zu tun, aber die Kollegen und Kolleginnen in den Betrieben folgen den Aufrufen nicht unbedingt.
hier bitte der
Mann mit Bart
Hans-Jügen Kröger: „Viele Funktionäre sind sehr friedensbewegt, aber die KollegInnen folgen den Aufrufen nicht unbedingt.“
Diesmal ist die Basis reaktionär?
Hans-Jürgen Kröger: Nein, reaktionär würde ich das nicht nennen. Aber zum einen fehlt es an Informationen und zum anderen hat sich in den Betrieben schon etwas verändert.
Habt Ihr Euch eigentlich für den Fall vorbereitet, daß die Bundeswehr tatsächlich aktiv in den Krieg eingreift, der Bündnisfall und damit womöglich auch große Teile der Notstandsgesetze in Kraft gesetzt werden?
Martin Lugenbiehl: Ich muß jetzt erstmal was loswerden. Auch die taz hat mit unsachlichen Informationen über die Aktionen am Hauptbahnhof und in Bremerhaven zur Spaltung der Friedensbewegung in Bremen beigetragen und dadurch die Diskussion zwischen den verschiedenen Teilen der Bewegung erschwert. Leider muß ich auch sagen, daß einige taz-Schreiber den großen Parteien geradezu nach dem Mund geredet haben, indem sie der Friedensbewegung anti-amerikanische und anti-israelische Haltung vorwarfen.
Zu Deiner Frage: Das Problem sehe ich in der relativen Unorganisiertheit der Anti-Kriegsbewegung. Die alten Strukturen sind teilweise nicht mehr und die neuen noch nicht vorhanden. Und was mit den Notstandsgesetzen auf uns zukommt, ist nur schwer abzusehen. Zum Beispiel kann es sein, daß dann die Telefone abgeschaltet werden, aber das muß nicht passieren.
hier bitte die
jüngere dunkelhaarige
Frau
Sadia Ghelala-Schlinke: „Die Friedensbewegung muß anti-amerikanisch sein“
Habt Ihr denn konkrete Ideen, was im Falle des Kriegseintritts der BRD passieren soll? Gestern habe ich in einem Schaufenster ein Plakat gesehen, in dem für diesen Fall zum Generalstreik aufgerufen wird. Darunter stand „IG Metall“
Hans-Jürgen Kröger: Das war sicher kein Plakat der IG Metall. Ich halte es für falsch, zum gegenwärtigen Zeitpunkt den Generalstreik auszurufen. Beim Bremer Vulkan sind ja noch nicht mal die fünf Mahnminuten eingehalten worden. Ich finde das Ziel „Generalstreik“ zwar richtig, aber das Bewußtsein in der Kollegenschaft ist einfach nicht soweit. „Generalstreik“ ist im Augenblick nicht mehr als eine linksradikale Losung, die uns in der innerbetrieblichen Diskussion keinen Schritt weiterführt.
Sadia Ghelala-Schlinke: Macht Ihr in den Betrieben Betriebsversammlungen zum Golfkrieg?
Hans-Jürgen Kröger: Wir geben Infoblätter in die Betriebe, aber manchmal verteilen die Kollegen und Kolleginnen sie einfach nicht. Es kommt auch vor, daß die Arbeitgeber die Flugblätter wieder einsammeln.
Wenn die Bundeswehr dieses Gespräch liest, wird es sie sehr ermutigen. Sie kann ruhig in den Krieg eintreten, und groß passieren wird dagegen nichts...
Hans-Jürgen Kröger: Das sehe ich nicht so. Wenn die Bundeswehr in den Krieg eintritt, wird hier viel passieren.
Martin Lugenbiehl:Ich will auch nochmal fragen: Könnt Ihr jetzt nicht Betriebsversammlungen machen?
Hans-Jürgen Kröger: Das hat es ja auch schon gegeben. Das Berufsfortbildungswerk des DGB hat in Bremen schon eine Betriebsversammlung zu dem Thema hinter sich.
hier bitte den jüngeren
Mann ohne Bart
Martin Lugenbiehl: „Die Machtverhältnisse in der Bundesrepublik sind nicht so, daß wir die Politik der Bundesrepublik und der NATO stoppen könnten. Trotzdem ist es natürlich gut und richtig, dahin zu gehen, wo die Waffen umgeschlagen werden und wo die Verantwortlichen sitzen.“Fotos: Sabine Heddinga
Aber seid Ihr darauf vorbereitet, daß nach einem Kriegseintritt der Bundesrepublik womöglichRepressionen einsetzen. Heute sind Mahnwachen und Betriebsversammlungen ja erlaubt und noch gar kein Problem. Aber das kann sich ändern.
Martin Lugenbiehl: Vielleicht willst Du mich jetzt dahin bringen, zu sagen, daß aktive Sabotage notwendig ist. Sabotage ist natürlich immer notwendig im kapitalistischen System. Aber auch im Spannungsfall müssen Aktionen und öffentliche Kundgebungen stattfinden, selbst wenn es hart auf hart kommt und die sogenannten „Rädelsführer“ verhaftet werden. Patentantworten, wie wer sich dann verhalten soll, gibt es nicht.
Hans-Jürgen Kröger: Ich befürworte gewaltlosen Widerstand. Schwierig wird es dann, wenn autonome Gruppen auf Demonstrationen gezielt und geplant Gewalt anwenden. Auch wenn das meistens nicht so gern ausgesprochen wird, kann das, was die Gewerkschaften angeht, zu einer Spaltung der Friedensbewegung führen. Das ist ein ganz zentraler Punkt.
Ingeborg Kramer: Ach, das ist eine uralte Diskussion, die wird immer neu aufgewärmt. Ich wehre mich dagegen. Das letzte Beispiel war die Mahnwache auf dem Marktplatz. Da sah der Bürgerschaftspräsident schon Gewalt darin, daß der Roland verschmutzt werde — Gewalt gegen Stein.
Hans-Jürgen Kröger: So habe ich das aber nicht gemeint.
Ingeborg Kramer: Das war natürlich extrem. Aber ich beteilige mich nicht an der Diskussion über die Gewaltanwendung dieser Gruppen. Wenn wirklich bei der Deutschen Bank eine Scheibe eingeworfen wird, kann ich nur sagen: Die ist leicht ersetzbar. Es soll nicht ins Zentrum gerückt werden, daß alles gewaltfrei bleiben muß.
Hans-Jürgen Kröger: Das Problem entsteht, wenn autonome Gruppen bei Demonstrationen bewußt Gewalt gegen Menschen ausüben. Bei einer Kundgebung vor einigen Wochen auf dem Marktplatz konnten nicht einmal mehr die Redner ihre Argumente am Mikrophon vortragen. Das ist in der Kollegenschaft natürlich kritisiert worden.
Martin Lugenbiehl: Du meinst, als Wedemeier unterbrochen worden ist? Wenn Wedemeier, unser lieber Bürgermeister, bei einer Friedensdemonstration unterbrochen wird, finde ich das durchaus richtig. Denn was hat er da zu suchen? Er, der den Kriegsumschlag in Bremer Häfen seit Monaten mit zu verantworten hat. Er will sich wieder mal an die Spitze der Bewegung stellen.
Hans-Jürgen Kröger: Das hat den DGB-Kreisvorsitzenden aber genauso getroffen, der konnte auch nicht ausreden. Wenn man auf die Gewerkschaften zugehen will, ist das nicht vertretbar.
Sadia Ghelala-Schlinke: Wenn auf einer Kundgebung derartige Heuchelei vorgetragen wird, kannst Du nicht erwarten, daß die Menschen das ertragen.
Hans-Jürgen Kröger: Ich sage nochmal: Die Kollegen verstehen nicht, wenn der DGB-Kreisvorsitzende am Reden gehindert wird, und die verstehen auch nicht, wenn am Hauptbahnhof Gewalt gegen die Polizei ausgeübt wird. An gewalttätigen Aktionen wird es keine Beteiligung der Gewerkschaften geben. Darüber muß man sich im Klaren sein.
Martin Lugenbiehl: Bei der Demo am Bahnhof hat die Polizei ohne einen Anlaß mit den Wasserwerfern losgespritzt. Dann kann man natürlich hinterher gut sagen, es war notwendig, den Platz zu räumen.
Ingeborg Kramer: Ich selbst habe mich in Bremerhaven dabei ertappt, daß ich sehr aggressiv wurde, als ich die Massen bis an die Zähne bewaffneter Polizisten sah. Du mußt Deinen Kollegen und Kolleginnen mal vermitteln, daß es an den jungen Leuten auf der Demonstration gelegen hat, daß alles so friedlich geblieben ist.
Zum Schluß noch einmal die Frage: Kann die Friedensbewegung in Bremen eine Kraft entwickeln, die etwas gegen den Krieg ausrichtet?
Ingeborg Kramer: Ich sehe im Augenblick keine geschlossene Kraft. Demnächst findet aber ein großer Ratschlag möglichst vieler Friedensgruppen statt.
Hans-Jürgen Kröger: Mit der Eskalation des Krieges wird auch die Beteiligung an Aktionen wieder steigen. ich kann nicht sagen, daß morgen oder übermorgen was passiert, aber es wird etwas passieren.
Das Gespräch führten: Dirk Asendorpf und Hannes Koch
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