„Hier stürzt ein ganzes Land ab“

■ Werftenkrise in der Ex-DDR: In Rostock sind 28.000 Arbeitsplätze akut bedroht

Die Werft- und Zulieferindustrie in der ehemaligen DDR steht vor einer radikalen Schrumpfkur. Jeder zweite der rund 47.000 Beschäftigten muß um seinen Arbeitsplatz fürchten; die Schiffbau-Kapazitäten müssen annähernd halbiert werden. Das sind die wichtigsten Ergebnisse der Bestandsaufnahme bei der Deutschen Maschinen- und Schiffbau AG (DMS), die der Vorstandsvorsitzende Jürgen Krackow gestern in Hamburg vortrug.

Mit Hilfe von externen Beratern haben Vorstand und Aufsichtsrat der DMS die 103 Schiffe aus dem Auftragsbestand analysiert. „Es gibt darunter kein Objekt, mit dem Geld verdient wird“, sagte Krackow. Bei 20 Schiffen seien die erwarteten Erlöse geringer als die Materialkosten. Krackow: „Diese Schiffe werden wir nicht bauen, wenn die Reeder nicht deutlich mehr bezahlen.“ Dadurch werde sich der Umsatz um 20 Prozent vermindern, die Verluste hingegen um 35 Prozent. Der Bau von weiteren zwölf Schiffen sei fraglich.

Insgesamt verfügt der ostdeutsche Schiffbau über einen Auftragsbestand von 3,5 Milliarden DM, der zu Verlusten von 1,8 Milliarden DM führen wird, falls er vertragsgemäß abgewickelt wird. Von den 20 Schiffen, die wohl nicht gebaut werden, entfallen acht auf die Mathias-Thesen- Werft in Wismar, vier auf die Warnowwerft in Rostock und acht auf die Neptunwerft, ebenfalls in Rostock. „Bei der Neptunwerft kommen alle schlechten Aufträge zusammen“, sagte Krackow. Diese Werft werde vermutlich als Schiffsbau-Standort nicht zu halten sein — trotz des engen Kooperationsvertrages, der seit vergangenem Jahr mit dem florierenden Bremer Vulkan besteht.

Laut Krackow sind jetzt drei Schritte gleichzeitig nötig, um den ostdeutschen Schiffbau zu sanieren: Die Preise für die Reeder müssen steigen, die Kosten sinken und alle Investitionspläne überprüft werden. Der Vorstand werde dieses Konzept bei der Treuhand vortragen und hoffe auf Unterstützung durch die zuständigen Ministerien in Bonn. „Wir sind neben der Chemie der schwerste Fall der Treuhand“, sagte Krackow. Es seien große gemeinsame Anstrengungen von Bund, Ländern, Gewerkschaften und Investoren notwendig, um die sozialen Auswirkungen der Sanierung zu mildern.

Ein besonderes Problem sind die Lieferungen an die Sowjetunion, die zur Zeit 73 Prozent des DMS-Umsatzes ausmachen. Nach Ausführungen des Aufsichtsratsvorsitzenden Eckart van Hooven ist zur Zeit nicht absehbar, ob die Sowjetunion willens und in der Lage ist, bestellte und gebaute Schiffe in harter Währung zu bezahlen. Zwei Schiffe sind bereits fertiggestellt, bleiben aber angebunden, weil sie noch nicht bezahlt sind.

Van Hooven erwartet von der Bundesregierung, daß sie sich aktiv in die Lösung dieses Problems einschaltet. Der Anteil der Sowjetunion an der Auslastung der DMS soll auf 50 Prozent zurückgefahren werden.

Von den 25.000 Beschäftigten, die allein im Schiffbau tätig sind, werden nach Krackows Ansicht künftig nur noch 10.000 übrig bleiben. Insgesamt, so der Vorstandsvorsitzende, werde sich die Belegschaft der DMS von 47.000 Menschen auf etwa die Hälfte reduzieren. Die Kapazität des ostdeutschen Schiffbaus, zur Zeit rund 440.000 gewichtete Bruttotonnen (cgt), müsse mindestens auf 320.000 cgt zurückgefahren werden. Auch im Zulieferbereich, der ebenfalls überwiegend unter dem Dach der DMS organisiert ist, wird es Einschnitte geben. Hier hofft man auf westliche Partner.

Der mecklenburg-vorpommersche Ministerpräsident Alfred Gomolka (CDU) begrüßte, daß nun endlich eine Bestandsaufnahme dieses in seinem Land wichtigsten Industriezweiges vorliege. Er hofft darauf, daß mit staatlicher Hilfe, Arbeitsbeschaffungs- und Qualifizierungsmaßnahmen sowie mit Umstrukturierung und neuen Investitionen die regionalpolitischen Auswirkungen zu begrenzen sind.

Die Gewerkschaft sprach von „bitteren Wahrheiten“ über den Schiffbau in der ehemaligen DDR. „Hier stürzt ein ganzes Land ab“, sagte der Hamburger Bezirksleiter der IG Metall, Frank Teichmüller. Es stünden 28.000 Arbeitsplätze auf dem Spiel und konkrete Konzepte für die betroffenen Arbeitnehmer gebe es noch nicht. dpa