„Nie wieder: Germans to the Front...“

■ ...aber auch kein Waffenstillstand ohne Vorbedingungen / Gespräch mit Bremens Ex-Bürgermeister Hans Koschnick

Hans Koschnick (61), der frühere Bremer Bürgermeister, ist SPD- Bundestagsabgeordneter und Vizepräsident der „Deutsch-Israelischen Gesellschaft“. Er machte in der vergangenen Woche von sich reden, als er forderte, die Bundesregierung solle die „Alpha- Jets“ sofort aus der Türkei zurückholen.

taz: Zur Zeit geben sich in Israel bundesdeutsche Delegationen die Klinke in die Hand. Sie waren seit Kriegsbeginn bereits zweimal dort. Einmal offiziell, einmal weniger offiziell. Warum?

Hans Koschnick: Ich traf beim ersten Mal in einer Familie, die ich gut kenne, die Großmutter, die Treblinka überstanden hatte, und bei der alles eingekapselt war. Und bei der die traumatischen Belastungen aufgebrochen sind, als sie jetzt die kleinen Enkel mit Gasmasken sah.

Ihnen drüben klar zu machen, es ist schrecklich, was von Deutschen an Lieferungen für die irakischen Giftgasfabriken geschehen ist, aber es sind nicht 'die Deutschen'. Ihnen klar zu machen, daß das falsch ist, was in Fernsehberichten rübergekommen ist, daß unsere Friedensbewegung dieses Problem nicht sieht. Das kriegen Sie im Gespräch mit, wenn Sie die Leute schon länger kennen. Bei offiziellen Delegationen wird das vielfach nur als Alibi gesehen. Die erste Reise, wo der Scheck von 250 Millionen übergeben wurde...

...ein Schuldablaß...

... Ablaß ist der richtige Ausdruck. Ich bin ohne Geld gefahren.

Sehen Sie als deutscher Politiker eigene Versäumnisse?

Ich habe für Bremen einiges tun müssen, auch in der Frage der Rüstung, aber mich immer geweigert, mich für Waffenexporte einzusetzen, diesen Bereich aus unserer geschichtlichen Erfahrung nicht mitzumachen. Aber auch schon die SPD-FDP-Regierung hat viel zu viele Waffen rausgelassen. Ich habe damals zwar gegen Waffenexporte nach Saudi- Arabien gekämpft, aber es war alles zu wenig.

Was sind Ihre Forderungen?

Ich komme aus einer Familie, die seit 1933 im Widerstand stand, meine Eltern haben vor dem Krieg gewarnt. Mein Vater war seit dem 1. Februar 1933 im Untergrund und ist am 1. Mai 1933 verhaftet worden. Als Bedingt- Wehrwürdiger ist er dann eingezogen worden und in Finnland gefallen. Ich habe also die Situation in den Knochen, daß man nicht rechtzeitig vor Hitler gewarnt hat. Ich kann nur sagen, wenn Hussein Giftgasangriffe ankündigt, dann glaube ich ihm das.

Die arabischen Staaten müssen versuchen, auf Hussein einzuwirken, daß er aus Kuwait raus geht. Wenn ihnen das gelingt, dann muß Waffenruhe sein. Dann muß die nächste Forderung sein, Vernichtung aller Massenvernichtungsmittel in der gesamten Region. Denn sonst bleibt die Drohung von Vernichtung und Gewalt. Ich sage: Vernichtung aller Massenvernichtungswaffen aus der Region, nicht nur aus den arabischen Staaten. Nur dann kann Frieden sein. Es muß auch eine Lösung für die Palästinenser gefunden werden. Und für die Kurden und den Libanon.

Haben Sie diese Ansicht auch in Israel vertreten?

Natürlich. Daß Hussein Kuwait mit Palästina verknüpft hat, macht doch deutlich, wie gefährlich es ist, daß man immer nur 'Palästina' sagen muß, um die Massen für sich zu gewinnen. Es muß dort eine Lösung gefunden werden. Es geht nicht ohne staatliches Selbstbestimmungsrecht für die Palästinenser.

Ist es Ihnen schwerer gefallen, diese Ansichten in Israel zu vertreten, seitdem Sie von den deutschen Lieferungen für die irakische Giftgasproduktion wissen?

Ich glaube nicht. Ich glaube, daß man in Israel deutlich machen muß, daß wir beschämt sind. Aber man kann doch nicht aufhören zu denken.

Haben Sie auch angesprochen, daß die PalästinenserInnen in der Westbank bisher keine Gasmasken bekommen haben, um sich zu schützen?

Ja. Es gibt ein israelisches Gerichtsurteil, daß die Palästinenser einen Anspruch darauf haben. Die israelische Regierung hat das Urteil akzeptiert. Ihr Problem für die Intifada ist, daß man Gasmasken auch gegen Tränengas benutzen kann — dennoch, sie haben die Vereinten Nationen gebeten, ihnen Gasmasken zu liefern, weil sie keine eigenen mehr haben.

Ihre Forderung heißt also: Waffenstillstand, aber nicht bedingungslos?

Das ist meine Position, und ich werde dafür auch angegriffen.

Sie teilen also die Ansicht der USA, Hussein müssemilitärisch enthauptet werden?

Es gibt keine Friedensregelung, die überschattet wird von der Drohung: Ich vernichte morgen ein ganzes Volk.

Warum waren Sie denn dann anfangs gegen das Kriegführen und für das Embargo?

Alle ernstzunehmenden Leute in Deutschland waren der Meinung, wir hätten versuchen müssen, mit dem Embargo die notwendigen nicht-kriegerischen Antworten zu finden. Aber nun ist der Krieg da. Die ersten Raketen sind auf Israel gefallen.

Unsere Bundesregierung ist die einzige Regierung, die das Parlament nicht zur UNO-Resolution gefragt hat. Die Amerikaner, die Engländer, die Franzosen, die Spanier, die Italiener, die Niederländer, die Dänen und die Türken haben sich alle souverän zur UNO-Entscheidung geäußert. Bei uns wollte uns die Bundesregierung reinziehen über die Nato-Bündnisfrage. Das Problem Krieg und Frieden kann doch nicht gelöst werden über eine Verwaltungsabsprache im Rahmen eines Bündnisses.

Eines ist ganz klar: Keine Soldaten von uns außerhalb des NATO-Bündnisses. Unsere Antwort kann nicht sein, wieder Weltpolizisten spielen zu wollen mit Waffengewalt. Prinzipiell. Nie wieder: Germans to the Front. Ich habe in keinem Gespräch in Israel gehört, daß sie Soldaten von uns sehen wollen.

Wollen Sie auch keine deutschen UNO-Kontingente?

Nein. No Germans to the front.

Sie sind also einerseits dafür, daß sich die Bundesrepublik aus der Erfahrung der beiden Weltkriege militärisch heraushält, und sie waren auch für das Embargo. Andererseits sind Sie der Meinung, daß jetzt, wo der Krieg schon mal da ist — der Krieg, den Sie nicht gewollt haben — daß man ihn solange weiterführt, bis Saddam Hussein aus Kuwait rausgeht und die Vernichtungsdrohung gegenüber Israel zurückzieht?

Ich frage umgekehrt jeden Journalisten: Sind Sie dafür: „Die Drohung kann bestehen bleiben. Die Besetzung kann bleiben, aber es darf nicht weiter geschossen werden?“

Ja. Waffenstillstand und das Embargo weiterführen.

Ich kann diese Position, daß Krieg nicht sein darf, verstehen und habe mich auch in meiner Fraktion sehr eingesetzt dafür, diese Position als eine der Möglichkeiten zu sehen. Aber ich sage aus den Erfahrungen meiner Familie mit Hitler: Wer Diktaturen bei Vernichtungsdrohungen dieser Art nicht stoppt, kriegt morgen Schlimmeres. Ich bin aus einer anderen Generation. Ich bin geprägt durch die Nazizeit. Mein Vorwurf 1945 war: Daß andere Hitler hätten stoppen können, nachdem wir schon versagt hatten, als Deutsche 1933. Gespräch: Barbara Debus