Lange Unterhosen in den Ofen!

■ Trotz bitterer Kälte, trotz Eis und Schnee: Es darf keine Renaissance der langen Unterhose geben/ Bloß: Was macht mann denn dann? Frostbeulen oder Schönheit, das ist hier die Frage

Frauen und Kinder haben es gut. Die einen können ihre Ohren zur Zeit mit modischen Bändern davor schützen, daß sie vor Kälte vom Kopf abfallen, die anderen ziehen sich einfach Pudelmützen über das Haupt. Ein Mann, der ein Anti- Frost-Band um den Schädel gespannt hat, sieht dagegen aus wie ein debiler Althippie, und wenn er sich eine Pudelmütze samt Bommel über das erkaltete Hirn stülpt, möchte man sofort die Polizei rufen, weil das nur noch verboten aussieht. Was tun, sprach Zeus und lehnte sich ans heiße Ofenrohr, doch es kam ihm keine rettende Idee. Männer müssen im Winter Straßen und öffentliche Plätze eben meiden — oder leiden.

Die Trennung zwischen Arbeits- und Ausgehkleidung geht in Großstädten fast gegen Null. Sie ist auch nicht mehr notwendig, da die meisten Stadtmenschen nicht draußen vor der vereisten Tür, sondern drinnen im warmen Büro ihr Geld verdienen. Modemäßig ist das ein historischer Fortschritt. Was wir zur Zeit erleben, ist deshalb ein Rückschritt. Die sibirischen Verhältnisse zwingen vor allem den Männern eine Debatte wieder auf, die wir angesichts der milden Winter in den vergangenen Jahren schon abgeschlossen zu haben glaubten: Darf mann, angesichts der realen Vereisungsgefahr, ausnahmsweise wieder lange Unterhosen tragen oder nicht? Abweichler meinen, mann dürfe das, da es erstens keine(r) bemerke und es zweitens in Notzeiten immer besonderer Ausnahmeregelungen bedürfe.

Schon das erste Argument ist ziemlich schwach. Natürlich sieht niemand die lange, häßliche gerippte Unterhose, solange mann was drüber hat. Das ist aber gar nicht der Punkt. Den historischen Fortschritten, die in den vergangenen zwanzig Jahren von den Männern in der Unterbekleidung erzielt worden sind, lag folgende Erkenntnis zugrunde: Mann sollte auch da ansprechend aussehen, wo es auf den ersten Blick gar nicht sichtbar ist. Also nicht nur unter dem Pullover oder an den Füßen, sondern auch unter der Hose. Nicht nur, weil mann sich dann ungeniert ausziehen kann, sondern weil mann sich einfach besser fühlt dabei. Die realpolitische Forderung nach der Rückkehr der langen Unterhose in kalten Krisenzeiten stellt deshalb die ganze, mühsame Entwicklung von der vorsintflutlichen weißen Schiesser mit schlüpfrigem Vorderausgang hin zur seidenen Boxershorts mit Knöpfchen in Frage.

Ganz schlaue Modemacher haben nun lange Unterhosen entwickelt, die angeblich tragbar sein sollen. Tatsächlich haben sie mit Papas Liebestötern nicht mehr viel zu tun. Sie erinnern statt dessen an dicke Damenstrumpfhosen, also an die gegengeschlechtliche Extrem-Unterwäsche. Solche Beinkleider machen Männer zu Mickymäusen. Auch so etwas hat an Männerbeinen deshalb nichts zu suchen, genausowenig wie die lächerlichen kurzen Hosen, die einige Unverbesserliche Jahr für Jahr wieder ab Juni tragen. Welches erotische Signal von den öffentlich ausgestellten Stachelbeerbeinen ausgehen soll, wird immer das Geheimnis ihrer Besitzer bleiben.

Psychologisch hat das Tragen langer Unterhosen im Winter und kurzer Hosen im Sommer übrigens die gleichen Ursachen: verlängerte Adoleszenzphase, Probleme in der Pubertät, Versagerängste. Man mag es kaum glauben, daß die Betroffenen diese Probleme im Zeitalter der Dienstleistungstherapie noch immer so scheußlich kanalisieren müssen.

Doch vielen dieser Männer kann man helfen. Ein gemeinsamer Spaziergang mit aufgeschlossener Partnerin durch ein Modekaufhaus, gezielte, geschickte Hinweise auf die Auslagen in der Herrenabteilung wirken manchmal schon Wunder. Falls das nicht überzeugend ist, hilft vielleicht der Wink mit dem Zaunpfahl: »Liebling, deine Unterhosen erinnern mich irgendwie an meinen vorletzten Liebhaber...« — »Ja und?« — »Der hatte ziemliche Probleme mit seiner Mutter...« Das dürfte schon reichen. Falls nicht, sagen Sie ihm ruhig, daß er einfach scheiße aussieht. Manche Männer brauchen eben sehr direkte Stellungnahmen.

Eines sollten Frauen in keinem Fall tun: Schenken Sie ihm nie Boxershorts, Slips oder andere Reizwäsche. Wenn er die nicht aus Überzeugung trägt, ist das praktisch so, als ob er sie gar nicht anhätte. Vernichten Sie statt dessen lieber seine zwei langen Unterhosen (wahrscheinlich hat er sie gar nicht mehr), indem sie sie in den Allesbrenner werfen. Dann haben die gerippten Röhren wenigstens einmal auf sinnvolle Weise ihren Zweck erfüllt: Wärme zu schaffen. CC Malzahn