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Legalisierung in Mitte nahe gerückt

■ Wohnungsbaugesellschaft erklärt sich überraschend zu Verhandlungen mit Besetzern bereit/ Problem Eigentumsfrage: Viele Häuser in diesem Bezirk waren unter den Nazis »arisiert« worden

Mitte. Verblüffte Gesichter machten Hausbesetzer gestern am runden Tisch in Berlin Mitte: Die Wohnungsbaugesellschaft Mitte (WBM) lenkt überraschend ein. Man werde über einen Rahmenvorvertrag für alle besetzten Häuser verhandeln, versprach WBM-Justitiar Hans-Jürgen Adam. Bedingung ist, daß sein Unternehmen von Regreßforderungen etwaiger Alt-Eigentümer verschont bleibt, erklärte Adam. Deshalb muß eine Klausel darüber in den Rahmenvertrag aufgenommen werden, daß einzelne Häuser nachträglich doch wieder herausfallen, wenn ein anerkannter Alt-Eigentümer Einspruch erhebt. Gleichzeitig können, da waren sich WBM und Besetzer einig, Einzelmietverträge mit allen Besetzern abgeschlossen werden. Ein ähnlicher Vertrag wurde bereits am Prenzlauer Berg unterschrieben.

Einzelmietverträge können zwar von keinem Eigentümer wieder angefochten werden. Doch sie reichen den Besetzern nicht aus. »Wir wollen die ganzen Häuser mit Keller und Dach in Selbsthilfe instand setzen, das geht nur mit einem Vertrag für das Haus. Außerdem brauchen wir die Gewerberäume für soziale oder kulturelle Projekte«, meinten sie gestern. Der Rahmenvertrag sieht immerhin vor, daß die Vereine der Hausbesetzer mitreden dürfen, wenn es um Neuvermietungen frei werdender Wohnungen geht.

Die drohenden Rückübereignungen sind das größte Problem bei den Verhandlungen zwischen Besetzern und Gesellschaften. Im Bezirk Mitte sind 29 Häuser besetzt, davon werden 26 von der WBM verwaltet. »Bei 6 besetzten Häusern haben sich schon potentielle Alt-Eigentümer gemeldet«, berichtete Adam, »und drei davon haben uns sogar verboten, mit den Besetzern Verträge zu schließen.« Kein Wunder, daß die zahlreichen West-Berater des runden Tisches, vom Kreuzberger Ex-Baustadtrat Orlowsky bis zur Ex-Stattbau-Geschäftsführerin Eichstädt, zur Eile drängten.

Ob die Ansprüche der Alt-Eigentümer berechtigt sind, ist fraglich: In Mitte, vor allem im dortigen Scheunenviertel, gehörten bis in die dreißiger Jahre viele Häuser jüdischen Eigentümern. Ob die nun an die Jüdische Gemeinde gehen oder an die »Arisierer«, wird wohl erst in den nächsten Jahren, wenn nicht Jahrzehnten geklärt werden. Ein solcher Fall ist zum Beispiel die — besetzte — Adalbertstraße 32. Dort hatte sich eine Frau gemeldet und erklärt, das Haus gehöre ihr. Sie übereignete es einem Rechtsanwalt, der den Besetzern nun mit Räumung droht. »Nun haben wir erfahren, daß es noch bis 1942 einen jüdischen Besitzer gegeben hat«, erzählte eine Besetzerin.

Solche Probleme hat die WBM überall. Die Gesellschaft verwaltet in Mitte 43.000 Wohnungen und Gewerberäume. Von denen werde man, so rechnete Adam vor, vielleicht 20.000 behalten — und zwar nur die Neubauten. Der Altbau geht wohl komplett an die Voreigentümer zurück. Deshalb begreift sich die von der Westberliner städtischen DeGeWo ausgeliehene Geschäftsführung als »Notgeschäftsführung«. Die WBM zögert gar, Mietverträge mit »Normalmietern« abzuschließen, und will dazu vom Bezirksamt angewiesen werden. »Dann haben wir einen Vorgang in den Akten, daß wir vermieten müssen, um den Leerstand zu beseitigen, und können später nicht von Eigentümern in Regreß genommen werden, die sagen: Aber ein leeres Haus hätte ich doch teurer verkaufen können«, erläuterte Adam. Das Bezirksamt ist auch bereit mitzuspielen. Baustadträtin Dorothee Dubrau (Bündnis 90) kündigte eine Begehung aller Häuser — auch der besetzten — an, um anschließend die WBM anzuweisen, den Leerstand zu beseitigen. Allein in Mitte stehen etwa 3.000 Wohnungen leer.

Bleibt »nur« noch das Problem, woher das Geld für die Instandsetzung der besetzten Häuser kommen soll — selbst wenn die Verträge unter Dach und Fach sind. Für Selbsthilfe in Ost-Berlin gibt es bis jetzt, wie berichtet, keinen Etat. Aber Geld ist überall knapp: Allein das jährliche Defizit der WBM beträgt ca. 60 Millionen Mark. Eva Schweitzer

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