Glasnost und Glasperlenspiel

■ „Zardoz“, John Boormans schräge Camp-Fantasy, 23.05 Uhr, Sat. 1

Die ersten Eindrücke sind die des verkaterten Erwachens nach durchzechter Nacht: Überlaut zwitschern Vögel, es riecht nach Blumenerde. Nach und nach stellen wir fest, daß wir uns in einer Art Gewächshaus befinden. Bunte Rohre liegen auf dem Boden. Pflanzen geben bei der Berührung erschrocken-laszive Töne von sich, wie eine Schwuchtel, der man im Vorbeigehen in der Arsch petzt. Ein sprechender Apparat erzählt von der Ernteproduktion. Erstaunt und erschrocken über all dies tapst ein leicht fettbäuchiger Sean Connery mit Lendenschurz und Knarre durch diese fremde Welt voller technischer Wunder und englischer Rasenflächen.

Zardoz wollte der englische Regisseur John Boorman 1974 als Parabel auf die amerikanischen Gesellschaft verstanden wissen, die ihren Reichtum auf Kosten einer zugrunde gerichteten Restwelt angehäuft hat. Im sogenannten „Vortex“ hat sich ein Grüppchen unsterblicher Wissenschaftler und „Glasperlenspieler“ dem Wahren, Schönen, Guten gewidmet, während draußen vor dem gläsernen Vorhang die Masse vor Hunger krepiert oder von dressierten Wächtern — „Exterminatoren“ — versklavt wird. Das kann natürlich nicht ewig so weitergehen. Die „Natur“ läßt sich nicht aufs Kreuz legen und schmuggelt einen dieser Exterminatoren (Connery) ins falsche Paradies, der die ersehnte „Perestroika“ in die devitalisierte Gesellschaft aus Renegaten und Apathischen bringt, und zwar indem er alle über den Haufen schießt, auf deren erklärten Wunsch.

Amüsant an dieser kruden Mixtur aus philosophischer Kolportage, grellen Macho-Phantasien und Pop- Oper, ist die Tatsache, daß eine schrille szenische Erfindung sich an die nächste reiht. „Diese Frau habe ich einmal geliebt“, deklamiert der Dichter Freund, während er auf einer Rickscha-Tour durch das Vortex blaue Brotlaiber an die regungslosen „Apathischen“ verfüttert und mit dem Charme eines Entertainers dem als Affe betrachteten Connery die Paradoxien der Unsterblichkeit erläutet. Vergehen wie Selbstmord werden nach der „Rekonstruktion“ mit ein paar Jahren Altern bestraft, wer's zu heftig treibt muß als ewiger Greis, als „Renegat“, sein Dasein fristen. Am überdrehtesten sind die psychedelischen Versammlungsrituale der Unsterblichen, eine treffende Vorwegnahme der Bhagwan- Welle. Insgesant ein witziges SF- Kasperle-Theater, aus einer Zeit, da Zukunftsvisionen noch mit den „Yes“-Covers von Roger Dean assoziiert wurden. Manfred Riepe