Karneval — „das wäre doch pietätlos“

Wegen des Golfkrieges fallen dieses Jahr die meisten Karnevals- und Fastnachtsaktivitäten flach — auch aus Sicherheitsgründen  ■ Aus Mainz J. Weidemann

„Frohsinn“, hoffte Hans-Dietrich Genscher zu Beginn der närrischen Kampagne, könne „erstmals seit vielen Jahren in Deutschland wieder grenzenlos sein“. Doch dann brach der Golfkrieg aus. Erstmals nach 1945 fallen Fastnacht und Karneval wieder einem Krieg zum Opfer.

Rudi Henkel hätte sich sein letztes Jahr als Präsident des Mainzer Carneval-Vereins (MCV) „wahrscheinlich schöner vorstellen können“. Seinen Kollegen Bernd Mühl, den Präsidenten des Mainzer Carneval-Clubs (MCC), traf der Schlag sogar gleich in der ersten Amtsperiode. Dennoch waren sie die ersten, die ihre Veranstaltungen „endgültig abbliesen“, zusammen mit weiteren 41 Mainzer Korporationen. Die Verluste des MCV belaufen sich Henkel zufolge auf 500.000 Mark, der MCC rechnet mit weiteren 250.000 Mark Einbußen. Kleinere Vereine fürchten gar den „finanziellen Ruin“ oder zumindest „jahrelang rote Zahlen“.

Doch die Moral kommt vor den Moneten. „In der Nachbarstadt Wiesbaden“, gibt MCV-Präsident Henkel zu bedenken, „steht das größte US-Lazarett für den Golfkrieg. Wir können doch nicht mit fröhlichem Helau durch Mainzer Straßen ziehen, wenn gleichzeitig Tausende amerikanischer Frauen um das Leben ihrer Männer am Golf bangen! Das wäre doch pietätlos!“

Verzichten müssen FernsehzuschauerInnen dieses Jahr auch auf die abendfüllende Sendung Mainz bleibt Mainz, wie's singt und lacht. Das ZDF hat bereits das Fastnachtsloch gestopft: mit einer Folge der Krimiserie Eurocops und dem Filmklassiker des amerikanischen Bürgerkriegs, Vom Winde verweht.

Einen Tag vor Kriegsausbruch zerbrach sich der „Bund Deutscher Karneval“ (BDK) — die Dachorganisation von rund 3.000 Mitgliedsvereinen — in Mainz den Kopf über ein gemeinsames Vorgehen. Das Mainzer Vorpreschen wurde abgeblockt; statt dessen empfahl der BDK, „die geplanten Karnevals- und Fastnachtsveranstaltungen zunächst durchzuführen und die Vorbereitungen für die Umzüge fortzusetzen“. Nur „wenn es zu schwersten kriegerischen Auseinandersetzungen kommen sollte“, könnte „diese Auffassung geändert werden“. Was aber war unter „schwersten kriegerischen Auseinandersetzungen“ zu verstehen? Jeder Verein müsse das selbst entscheiden, sagte BDK-Präsident Wacker diplomatisch.

In der Nacht nach der BDK-Sitzung hämmerten die ersten Bomben auf den Irak nieder. Kurz danach gingen bei Kölner Karnevalisten anonyme Bombendrohungen ein. Trotz erhöhten Sicherheitsrisikos können sich die Kölner ihren Karneval aber nur schwer verkneifen. Zwar sagte das Festkomitee alle Umzüge ab, Maskenbälle und Prunksitzungen indes wollte man nicht verbieten. Dort und in Düsseldorf ließen es sich viele Narren und Närrinnen auch nicht nehmen, an Altweiberfastnacht fast wie gewohnt in proppenvollen Kneipen bis ins Morgengrauen hinein zu feiern. Beim Bundesamt für Verfassungsschutz und bei der Stadtverwaltung Köln erstritten sich Angestellte sogar vor Gericht ihre — per Arbeitsvertrag — freien Tage für Weiberfastnacht und Rosenmontag. Beim Arbeitsgericht Mainz stand deswegen ebenfalls eine Klage des Betriebsrates der Kraftwerke Mainz-Wiesbaden gegen die Unternehmensleitung an.

Aus Sicherheitsgründen wurden auch in München die Faschingsveranstaltungen abgesagt. Werner Hoser, der Vorsitzende der Münchner „Narhalla“, sieht das Aus nüchtern: „Man müßte ja derart strikte Sicherheitsvorkehrungen treffen, daß überhaupt keine Stimmung mehr aufkommt. Ein Nobelhotel, 1.000 oder 2.000 feiernde Gäste — das ist doch ein erhöhtes Risiko! Und wenn da einer mit einem G'wehr reinkommt — das könnt' ja auch ein echtes G'wehr sein!“

Ähnliche Befürchtungen hegt man in der Mainzer Rheingoldhalle. Dort sind die meisten Aushilfskellner Studenten, viele davon aus arabischen Ländern. „Wenn da einer durchdreht“, so ein Verantwortlicher, „und auch nur mit Platzpatronen in die Luft ballert — dann hätten wir eine Panik, die sich nicht mehr in den Griff kriegen läßt.“