“Notbetten“ im Jakobushaus: Die Zeitung

■ Leiter der Obdachlosenunterkunft: „Keiner wird abgewiesen“ / Etliche pennen ohne Bett auf dem Fußboden

Freitagabend, 22 Uhr im Jakobushaus, der einzigen Anlaufstelle für Obdachlose in Bremen: Durch die Tür des sogenannten Cafes dringt das Klappern der Kaffeetassen, es wird aufgeräumt, für heute dichtgemacht, wie jeden Abend um diese Zeit. Der Fernseher wird abgeschaltet. Zwei Männer verabschieden sich mit einem höflichen „Auf Wiedersehen, Herr ...“ von dem diensttuenden Sozialarbeiter. Der eine führt einen Schäferhund an der Leine, der andere hat einen neugierigen Welpen auf dem Arm. „Siehste, heute hat keiner ins Haus geschissen“, murmelt der Schäferhund-Besitzer im Rausgehen. Manche halten sich den Hund aus Selbstschutz: Bremer Berbern sind schon die Schlafsäcke oder Plastiktüten angezündet woren. Die beiden Obdachlosen suchen sich jetzt „'ne warme Platte“ in der Stadt: Leute mit Hund dürfen im Jakobushaus nicht übernachten. Einen der beiden sehe ich später, in seinen dünnen Schlafsack gerollt, wenige Meter weiter auf dem Lüftungsschacht von MacDonalds liegen.

Wohl ein Dutzend der Cafe- Besucher trollt sich in die Kälte hinaus. Für die anderen beginnt der Verteilungskampf um einen Schlafplatz für die Nacht: Die 25 Betten der Notaufnahme sind längst belegt, genau wie die knapp 100 Plätze im darüberliegenden Übergangswohnheim des kirchlichen Sozialzentrums.

Zum ersten Mal seit Beginn der diesjährigen Eiszeit rückt der Sozialarbeiter die zwei letzten Notpritschen heraus. Zwei der älteren Männer haben sie ergattert, richten sich im hellerleuchteten Treppenhausflur darauf ein. Auch Reinhold T. hat in dieser Nacht mal wieder Glück: Er „darf“ auf dem Plastikstuhl schlafen. Vor über einer Woche, sagt er, wurden ihm im Park Schlaf- und Rucksack gestohlen: Das Bremer Sozialamt verweigert ihm Ersatz. Seitdem die Zentrale Beratungsstelle für Wohnungslose aufgelöst und die letzte Sozialarbeiter-Stelle im Amt für Soziale Dienste gestrichen wurde, kümmert sich niemand mehr um die Rechte der Nichtseßhaften: Kein Streetworker sucht sie auf, keiner verschafft ihnen eine menschenwürdige Unterbringung, keiner sucht nach Zimmern. Den LaienhelferInnen von St. Stephanie und dem Verein Allwo sind Grenzen gesetzt.

Ganze drei dünne Dralondecken hat das Jakobushaus an die unliebsamen Gäste dieser Nacht zu vergeben, die wie die übrigen in Parks, Hauseingängen und Baustellen keine Statistik erfaßt. Auf bis zu 200 werden sie geschätzt. „Bis heute hat es im Steintor wenigstens noch einen Rohbau gegeben. Aber jetzt haben sie den Polier entlassen, der uns das Fenster aufgelassen hat.“ So etwas gebe es nur in Deutschland, meint Daniel. In Amsterdam und England würden den Obdachlosen wenigstens städtische Baustellen geöffnet. Hier darf man noch nicht mal im geheizten Wartehäuschen auf Bahnsteig 10 sitzen bleiben.

Zehn, zwölf Männer breiten in dieser Freitagnacht wie seit Wochen im zugigen Windfang des Jakobushauses sorgfältig ihre Zeitung aus — eine mehr symbolische Matratze: Schon nach zehn Minuten ist die Kälte unangenehm durch meinen dicken Ledermantel gekrochen, als ich mich zu ihnen auf den Boden hocke. Trotz Heizung ist der Steinboden naß: Mit ihrem ständigen Raus und Rein tragen die übrigen Bewohner den Neuschnee herein. „Hier kann man keine zwei Stunden durchschlafen“, sagt Jörg, 33 und seit 1987 in Bremen vergebens auf Wohnungssuche. „Und wenn du dann mal abnickst, weil du seit Wochen nicht geschlafen hast, dann fliegst'e raus — Hausverbot wegen Alkohol oder Drogen, sagen sie dann gleich“, erzählt Jürgen, seit einem Jahr „auf Platte“.

„Es wird keiner abgewiesen“ hatte noch am Morgen Jakobushaus-Leiter Kurt Huuk der Sozialsenatorin versichert - obwohl die seit drei Wochen in Aussicht gestellten Wohncontainer (mit weiteren 12 Notbetten) noch immer nicht eingetroffen sind. „Angeblich gab es in Bremen heute keinen Kran, um sie zu verladen“, hatte der zuständige Referatsleiter der Sozialbehörde, Karl-Heinz Klingebiel, die Lieferschwierigkeiten erklärt. Er hatte an diesem Freitagmittag auch betont, daß er für das Wochenende nicht mit „Überraschungen“ rechne: Nach Gesprächen mit Kurt Huuk und der örtlichen Polizei sei „alles geregelt“, zumal seit Herbst „alle zur Szene Zählenden“ untergebracht seien. Mit den zwei Häusern, die die Stadt gekauft hat und die nach ihrer Renovierung im April von 24 alleinstehenden Wohnungslosen bezogen werden sollen, ist für die Behörde die seit Monaten verhandelte Erweiterung des Jakobushauses ausreichend in Angriff genommen. Für's Frühjahr soll das Jakobushaus allerdings eine weitere Bedarfsrechnung vorlegen, um für den Herbst 91/92 dann unter Umständen eine weitere Einrichtung mit 30 Plätzen zu schaffen. Birgitt Rambalski