: Mache mich mit allen Entscheidungen unbeliebt
■ Gesundheitssenator Peter Luther (CDU) will Gesundheitswesen so schnell wie möglich angleichen/ Zur Frage der Fristenlösung hat Luther noch keine Meinung/ Westliche Modelle der Aids-Prophylaxe will er im Osten voll übernehmen
taz: Haben Sie in den letzten Jahren eigentlich selbst mal im Krankenhaus gelegen?
Peter Luther: Nein, in den letzten Jahren nicht. Mein letzter Krankenhausaufenthalt war 1979 in einem Leningrader Institut, wo mir der Blinddarm entfernt wurde. Das war schon kurios. Auch wenn ich bis dahin nie operiert werden mußte, bemerkte ich dann doch, daß etwas fehlte — die Narkose! Aber da lag ich schon auf dem OP-Tisch. Es hieß, ich sei doch jung und sportlich, da ginge das auch so. Ansonsten war ich eigentlich nicht krank.
In Leningrad kannten Sie sich vermutlich nicht so gut aus, anders dürfte es dagegen im Ostberliner Gesundheitswesen sein — wo drückt dort zuallererst der Schuh?
»In der Medizin ist es nicht so, daß bloß ein Auto weniger gebaut wird — wenn dort Leute weggehen, kann man nichts mehr aufbauen«
Meine Zielrichtung muß sein, daß man die beiden Gesundheitswesen ganz schnell angleicht und zwar schneller, als in anderen Fachgebieten, schneller als in der Wirtschaft oder anderswo. Wenn wir die Zwei- Klassen-Medizin, die wir jetzt ja noch haben, noch längere Zeit beibehalten, entstehen wirklich irreparable Schäden. Das beste Fachpersonal ist auf Dauer nicht zu halten für die halben Preise. Und dort ist es dann ja nicht so, daß bloß ein Auto oder ein Kühlschrank weniger gebaut wird — wenn dort die Leute weggehen, kann man nichts mehr aufbauen.
Was bedeutet die Angleichung des Gesundheitswesens in Ihrer Definition? Die Übernahme der westlichen Institutionen oder ein gegenseitiger Austausch?
Beides, so weit es geht. Die Qualität in der Behandlung der Patienten muß an erster Stelle stehen — und die muß innerhalb kurzer Zeit wenigstens annähernd auf das gleiche Niveau kommen.
Wo liegen dort denn die krassesten Unterschiede?
Zum Beispiel in den Krankenzimmern. Die Sanierung der Gebäude muß schnellstmöglich passieren, es geht auf die Dauer gesehen nicht an, daß ein Patient noch immer in einem Sechs- oder mehr Bett-Zimmer liegen muß. Die Personalbesetzung muß gut sein, wir haben ja nach wie vor einen Schwesternmangel. Und deshalb gilt auch dort: Wenn eine Schwester in Ost-Berlin für die gleiche Arbeit die Hälfte des Geldes bekommt, das ihrer Kollegin hundert Meter weiter gezahlt wird, können Sie sich ausrechnen, wie lange sie das macht.
Sie haben in einem Zeitungsinterview gesagt, mit Geld ließe sich — in bezug auf die Pflegekräfte — vieles regeln. Im Westen jedoch herrscht trotz höherer Bezahlung ebenfalls ein Pflegenotstand. Wie also ist diese Stellungnahme gemeint, und woher soll das Geld kommen?
Fragen, die ich sicher nicht zu Ihrer Zufriedenheit beantworten kann. Wenn ich in der Senatskasse genug Geld hätte, würde es mir leichtfallen, die gröbsten Probleme sofort zu lösen. Eine große Rolle spielt natürlich auch das Verantwortungsbewußtsein beim medizinischen Personal, da muß man sicher auch eine Menge machen. Auf Dauer gesehen kann man aber auch nicht immer nur an die Moral der Ärzte und Schwestern appellieren — wenn sie für die gleiche Arbeit woanders ein besseres Angebot bekommen, kommt man irgendwann mit der Moral nicht mehr weit. Deshalb meine ich, daß man dieses Problem über die Finanzierung klärt, über die Erhöhung der Pflegesätze und damit verbunden die Erhöhung der Gehälter. Aber auch die Arbeitsbedingungen müßten sich verbessern, allein schon durch die bessere Ausstattung mit modernen Geräten.
»Auf Dauer gesehen kann man aber auch nicht immer nur an die Moral der Ärzte und Schwestern appellieren«
Sie werden in jedem Fall dazu gezwungen sein, in bestimmten Bereichen zu kürzen und somit auf heftige Proteste stoßen. Ein schlechtes Omen für Ihren Amtsantritt?
Nach den ersten Tagen war mir klar, daß ich mich mit allen Entscheidungen unbeliebt machen werde, wie auch immer ich sie treffe. Ich habe noch nichts gefunden, wo man in diesem Amt große Glanzpunkte setzen könnte. Alles geht dahin, soviel Geld wie möglich zu erhalten — aber was immer ich bekomme, es wird für den Ostteil der Stadt nicht reichen. Und was immer ich auch im Westen noch einsetzen kann — um dort das Niveau zu halten, wird es Einschnitte geben. Unzufrieden werden beide Seiten sein.
Wäre es nicht ein Glanzpunkt, wenn Sie es schaffen, die Polikliniken in Ost-Berlin beispielsweise als Gesundheitshäuser zu erhalten?
Klar werde ich mich da für eine faire Lösung engagieren — also wenigstens einen Teil zu erhalten. Allen werden wir da aber auch nicht helfen können und was völlig Neues werden wir auch nicht erfinden. Man könnte in Richtung von Ärztehäusern oder Praxisgemeinschaften denken, wenn man den Ärzten in den Polikliniken helfen will, denn Sie können nicht von allen erwarten, daß sie das Wagnis eines Kredits eingehen und sich niederlassen.
Können Sie das auch Ihren Parteifreunden im Westen klarmachen?
Sicher wird das schwierig. Sicher wird ein niedergelassener Arzt im Westen fragen, warum er keine Unterstützung bekommt. Man muß sich eben immer wieder an einen Tisch setzen, um ein Modell zu finden, das die Versorgung der Patienten sicher stellt. Dafür muß jedes Mittel recht sein.
Wie ist Ihre Haltung zum §218?
Würde ich noch nichts zu sagen wollen. Was die jeweiligen kontroversen Haltungen angeht, will ich mich erst noch sachkundiger machen. Diese Problematik geht ja auch durch viele Fachbereiche...
Die ja auch vor der Wahl gemeinsam eine Bundesratsinitiative für die Fristenlösung plus Beratungspflicht eingebracht haben. Der wollen Sie sich aber nicht anschließen?
So würde ich das nicht sagen. Doch bevor ich da vorgreife, muß ich mir einen Überblick über das Für und Wider verschaffen. Bisher hatte ich in meinem Verantwortungsbereich mit der Fristenlösung ja auch nichts zu tun.
»Bisher hatte ich in meinem Verantwortungsbereich mit der Fristenlösung nichts zu tun«
Ist diese Haltung ein Kotau gegenüber Ihren westlichen Parteikollegen?
Nein. Ich würde auch so reagieren, wenn Sie mich zu irgendeinem anderen Thema befragen: erst umfassend informieren, dann entscheiden.
In welcher Form wollen Sie in Ost-Berlin Maßnahmen zur Aids- Prophylaxe ergreifen?
Das Problem war dort bisher noch nicht so dramatisch, aber alles spricht dafür, daß sich das nun ändert. Deshalb wäre ich stark daran interessiert, überhaupt keine Experimente zu machen, sondern das, was sich im Westen bewährt hat — Aufklärung, viel Aufklärung im Vorfeld! — von vornherein auf den Ostteil zu übertragen. Da gibt es gar keine Unterschiede.
Haben Sie in diesem Zusammenhang auch schon mal darüber nachgedacht, zugunsten Ost-Berlins Westberliner Einrichtungen zu streichen, die sich nicht so bewährt haben, aber viel kosten?
Ob es solche Einrichtungen gibt, kann ich bislang nicht beurteilen. Aber ich denke, es wird sich schnell prüfen lassen.
Die Verwaltungen für Gesundheit und Soziales sind im Zuge der Senatsbildung auseinandergerissen worden. Sonderlich sinnvoll ist das doch wohl nicht, wie sich beispielsweise an der daraus resultierenden Teilung des Pflegereferats aufzeigen läßt: Fortan ist die Gesundheitsverwaltung für die stationäre Pflege zuständig, um die ambulante Pflege dagegen kümmert sich die Sozialverwaltung.
Wir sind gerade dabei, uns verwaltungstechnische Lösungen zu überlegen. Man wird darüber nachdenken müssen, ob man eins dieser übergreifenden Referate insgesamt bei Gesundheit und dafür ein anderes insgesamt bei Soziales läßt.
Dennoch — was ist daran sinnvoll, etwas zu trennen, was seit zehn Jahren engmaschig vernetzt wurde?
Da fragen Sie natürlich etwas, was die Politiker schon vor meinem Amtsantritt beschlossen haben. Die Frage ist, wie man es macht und ob man sich daran gewöhnt. Schließlich ist alles irgendwie miteinander vernetzt, da ist dann immer die Frage, wo fängt es an und wo hört es auf. Beispiel Charité: ein großer medizinischer Komplex, der aber mit meinen Bereich überhaupt nichts zu tun hat, sondern in die Zuständigkeit der Wissenschaftsverwaltung fällt.
Das ist aber für einen alten Menschen, der sowohl soziale wie auch gesundheitliche Betreuung braucht, nur schwer zu verstehen — auf der einen Seite sprechen die Politiker von der nötigen Verzahnung ambulanter und stationärer Versorgung, die dafür zuständige Verwaltung jedoch bricht genau dort auseinander.
Die Menschen werden davon praktisch nichts merken. Für sie ändert sich nichts, die für sie Zuständigen bleiben die gleichen.
In den Koalitionsvereinbarungen wurde festgelegt, ein Zentrum für Infektionserkrankungen zu errichten. Ist das ein Zugeständnis an Sie als Immunologe oder werden da erneut zu Lasten der kieznahen Versorgung die Weichen in Richtung Hochleistungsmedizin gestellt?
Dieses Zentrum steht sicherlich nicht an erster Stelle. Andere Probleme sind wichtiger, aber wir werden es auch nicht aus dem Auge verlieren. Gerade wenn Berlin Hauptstadt ist, braucht man Einrichtungen mit sehr hohem Niveau, wo in der Medizin nach vorne gearbeitet wird.
Betrachtet man mal ganz konkret den Bezirk Mitte: Dort gibt es einerseits das Krankenhaus Mitte, andererseits die Charité. Beide zusammen haben gemessen an der Einwohnerzahl im Bezirk-Mitte zu viele Betten. Wo wird gestrichen?
Wir werden die Bezirksgrenzen diesbezüglich größer ziehen müssen, als sie jetzt sind, die Einzugsgebiete werden größer sein müssen. Was die Entwicklung im Bezirk Mitte betrifft, kann und will ich Ihnen noch nichts sagen. Ich kann Ihnen natürlich nicht sagen, ob und welches Krankenhaus Betten schließen muß. Interview: Martina Habersetzer
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