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Einfach keinen Ostler gefunden

■ Das Ostberliner »Haus der Jungen Talente« wird jetzt von einem Westler regiert

Im Osten gibt es niemanden, der in der Lage wäre, das Haus der Jungen Talente (HdJT) zu managen. Zu dieser Erkenntnis kam jedenfalls die Senatsverwaltung für kulturelle Angelegenheiten und setzte dem populärsten und historisch wichtigsten Veranstaltungsort kurzerhand und ganz unbürokratisch einen Westler vor.

Der heißt Hartmut Faustmann und kommt direkt aus der Senatsverwaltung für kulturelle Angelegenheiten. Faustmann, der sich bislang ohne besonderen Geschäftsbereich im Referat für dezentrale Kulturarbeit verdingte, soll erst einmal bis Juni 1991 in der Klosterstraße die Umwandlung des HdJT in eine landeseigene GmbH koordinieren.

Am 15.Dezember wurde das Haus der Jungen Talente als eine dem Ostberliner Magistrat nachgeordnete Einrichtung abgewickelt. Der überwiegende Teil der ehemals für die Programmpolitik des Hauses zuständigen MitarbeiterInnen wurde auf die Warteschleife gesetzt, der Rest bekam auf ein halbes Jahr befristete Zeitverträge. Schon in den Wochen vor der Entscheidung des Magistrats, das HdJT als eine landeseigene GmbH weiterzuführen, wurden die MitarbeiterInnen des Hauses aufgefordert, eigene Vorstellungen über die Zukunft des Hauses dem Magistrat vorzulegen. Verschiedene Interessengruppen gründeten gemeinsam mit Teilen der Belegschaft ein »HdJT europäisches Jugend- und Kulturzentrum e.V.« und versuchten, das Programm stärker auf soziale Themen und multikulturelle Aktivitäten zu orientieren. Doch alle der Kulturstadträtin Rusta vorgelegten Konzepte wurden abgelehnt. Heute, so sagt Janine Schreiber, eine der vier noch im Programmbereich arbeitenden MitarbeiterInnen, »kommt es uns so vor, als hätte uns der Magistrat nur beschäftigen wollen, aber vielleicht ist auch der Magistrat nur vom Senat benutzt worde«. Im November verkündete die aus dem Amt scheidende Kulturstadträtin Irana Rusta, daß das Haus der Jungen Talente als »in seiner Art einmaliges Kinder- und Jugend-Kulturzentrum im Zentrum Berlins« bestehen bleibt und »künftig zusätzlich als Stätte der musischen Bildung, der Förderung junger Künstler und der Begegnung mit Ausländern und ihren Kulturen genutzt werden« soll. Eine Arbeitsgruppe sollte bis zum 31.Dezember 1990 eine Konzeption und ein Finanzierungsmodell für die zu bildende landeseigene GmbH vorlegen.

Doch bis heute gibt es weder eine Arbeitsgruppe noch eine Konzeption. Nun soll Faustmann im Eilverfahren die nötigen Schritte zur GmbH-Gründung einleiten. Kaum zwei Wochen im Amt, hat er ein in der Senatsverwaltung erarbeitetes Personal- und Finanzierungsmodell in der Tasche, das jetzt dem Senat zur Beschlußfassung vorliegt. Auf die von Frau Rusta in Aussicht gestellte Arbeitsgruppe verzichtete man ebenso wie auf die Mitsprache der noch im HdJT verbliebenen MitarbeiterInnen. Die, so Faustmann, »sind kaum objektiv und neutral und haben persönliche Interessen«. Was man ihnen auch nicht verübeln kann, geht es schließlich auch um ihre beruflichen Perspektiven. Und schließlich hat der neue Kultursenator dem HdJT in einem taz-Interview bescheinigt, daß sich in seinen Räumen schon lange vor dem 9. November »Jugendprotest artikuliert hat«.

Doch während Roloff-Momin noch »Nachilfeunterricht« nehmen will und der Ansicht ist, daß sich »kein Wessi einbilden soll, mit westlichem Kulturverständnis die östlichen Bezirke der Stadt angemessen behandeln zu können«, scheinen seine Mitarbeiter weniger einsichtig. Zwar ist man sich in der Senatsverwaltung der Tatsache bewußt, daß diese Entscheidung nicht unbedingt einen Schritt zu der von Roloff-Momin geforderten Überwindung »des Abwicklungsschocks« bedeutet, doch hat man einfach keinen »geeigneten Ostler gefunden, und schließlich haben Ostler leider auch wenig Erfahrungen mit GmbH-Gründungen sammeln können«. Ob Faustmann diese Erfahrungen einbringen kann, bleibt unklar, doch sei er »ein ausgewiesener Theatermann, der in Frankfurt und West-Berlin gearbeitet habe und auch die besondere Mentalität der ehemaligen DDR-Bürger kenne«, so ein Sprecher des Kultursenators.

Der neue Geschäftsführer will oder kann noch nicht viel zur Zukunft des HdJT sagen. Über die inhaltliche Konzeption der Arbeit möchte er erst reden, »wenn der Senat sein Personal- und Finanzierungsmodell bestätigt hat«. Für das Haus in der Klosterstraße, so steht es in der Koalitionsvereinbarung der neuen Landesregierung, »wird eine kulturelle Nutzung zur Arbeit mit Kindern und Jugendlichen vorgesehen.« Das ist so neu nicht und bestimmte die Arbeit des Hauses auch in den letzten 36 Jahren. 1954 wurde das am Beginn des 18. Jahrhunderts von Jan de Bodt errichtete und im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigte dreigeschossige barocke Palais wiederaufgebaut und als Klubhaus eingerichtet. Das ehemalige Wohnhaus des preußischen Staatsministers von Podewils ist seit 1874 in städtischen Besitz und war, obwohl dem Magistrat administrativ und der FDJ-Bezirksleitung Berlin programmpolitisch direkt unterstellt, als »Haus der Jungen Talente« eine der wenigen attraktiven Adressen für die kulturell interessierte Szene der DDR-Hauptstadt.

Rock- und Jazzkonzerte, Lesungen, Theateraufführungen und »Jugendtanzveranstaltungen« bestimmten das Programm des Hauses, diverse Volkskunst- und Laienzirkel trafen sich unter dem Mansardendach ebenso wie die SchülerInnen des einzigen Tai-Chi-Lehrers der sozialistischen Metropole. Natürlich blieb das Zirkel- und Veranstaltungsprogramm unter Aufsicht der FDJ und — auch das weiß man inzwischen — auch im HdJT geschah nichts, was nicht auch dem Staatssicherheitsdienst bekanntgewesen wäre.

Das änderte sich erst im Herbst 1989. Das HdJT wurde bis zu seiner Abwicklung zu einem Zentrum der öffentlichen Diskussion über die notwendigen politischen Veränderungen in der DDR. Noch verrät Faustmann nicht viel über seine Pläne, doch müssen erst einmal die diversen Volkskunstzirkel raus. Sie sollen, da sie eindeutig einen Bildungsauftrag erfüllen, den Volkshochschulen angegliedert werden, so Faustmann, der zur Zeit über entsprechende Lösungen verhandelt. »Faustmanns Vorstellungen gehen nur in vier Richtungen und damit an vielem von dem vorbei, was gerade im letzten Jahr für das HdJT wichtig geworden ist«, betont Janina Schreiber, die vor allem bemängelt, daß ihr neuer Chef sich allein auf die Förderung junger KünstlerInnen in den Bereichen Musik, Bildende Kunst, Theater und neue Medien konzentriert. „Für politische Diskussionen und Talk- Shows zu übergreifenden Themen bleibt kein Platz, und das HdJT wird als Veranstaltungsort an Bedeutung verlieren«, befürchtet die Programmgestalterin, die darauf verweist, daß durch den im Dezember erfolgten Personalabbau das Haus schon jetzt an Attraktivität verloren hat: »Wir versinken hier im Dreck und mußten unser Programm schon reduzieren. Da kann man im Juni natürlich leicht auf die zurückgegangenen Besucherzahlen verweisen und uns erklären, daß es so wie bisher natürlich nicht mehr weitergehen kann.« André Meier

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