Wechselbäder

■ Die Platten des Twin/Tone-Labels aus Minneapolis werden jetzt auch in Deutschland vertrieben

Kann es einen typischen Labelsound geben? Ein Stil, der ein Label wiedererkennbar macht? Manch kleine Firma — wie Glitterhouse mit ihren stampfenden Dröhnprodukten oder Pastell, die die sanfteren melodischen Gitarrentöne pflegen —, hat sich schon ein gewisses Profil erwirtschaftet — oder einen berüchtigten Ruf.

Ein Label aus den USA, genauer aus Minneapolis/Minnesota, das in Europa bisher nur sporadisch durch Platten von den „Replacements“ oder „Soul Asylum“ in den Plattenregalen auftauchte, hat seit diesem Jahr die Möglichkeit, sein gesamtes Repertoire auf dem hiesigen Markt vorzustellen. Twin/ToneRecords hat sein Programm an den englischen Vertrieb „Southern Studios“ lizensiert, und sehr empfehlenswerte Platten von „Run Westy Run“, „Toadstool“, „Agitpop“, „Ween“ oder „Skunk“ sind über EFA jetzt auch in Deutschland zu haben. Es gibt vornehmlich Bands aus dem Mittleren Westen der USA zu entdecken, von denen jede auf ihre Weise im Spannungsfeld von Tradition und Innovation operiert.

„Ween“ war hierzulande schon live zu erleben. Zwei Leute aus Trenton/New Jersey machen Lärm für sechs, meist nur mit Gitarre, Drums und diversen Samples. Ihr Werk God WEEN Satan bietet Kurzweil mit 26 kürzesten Songs, mal punkig, mal heavy, mal rappig, aber immer Hardcore. Manchmal geht alles durcheinander, als wollten „Ween“ dem frühen „Cpt. Beefheart“ imponieren (was nur zeigt, wie avantgarde dieser mit Trout Mask Replica am Ende der Sechziger war). Die Lyrics versprechen laut Parental Advisory Sticker, der wohl nur in den USA das Cover ziert, Gewalt, dreckige Sprache, eindeutige Situationen und Nacktheit.

Aus einer anderen Ecke kommen „Agitpop“ aus New York, nämlich von den melodischen Tönen, wie der Name nahelegt. Doch der besagt auch, daß sie nicht bei Gitarrenpop bleiben. Das Trio dehnt auf Stick it seine Songs durch jazzige Elemente aus, baut Stolpersteine ein, die einen entspannten Genuß verhindern und ständige Spannung aufrechthalten. Pop um drei Ecken, also intelligent, im Sprung zwischen Harmonie und Dissonanz; Diskrepanz zwischen schrägen Instrumenten und angenehmer Stimme. Im Hinterrund ist manchmal der Sänger von „Soul Asylum“, Dave Pirner, zu hören.

Der mischt auch auf The Sun Highway von „Toadstool“ mit. Diese Band aus Minneapolis ist nicht weit von „Agitpop“ entfernt, klingt allerdings härter und dadurch konsequenter. Sie gehen vom Rock aus, zerren ebenfalls an ihm herum, um damit manchmal in der Atonalität zu landen. Die Songs von „Toadstool“ sind unterschwellig aggressiv. The Sun Highway zeigt, wie harter Rock und Jazz sich ergänzen können ohne im gefürchteten Fusion-Matsch der Siebziger zu enden.

Ebenfalls aggressiv sind „Skunk“ aus Maplewood/New Jersey, und dabei straight. Prinzipiell orientiert sich ihr sehr dichter Rock an dem Stil, den „Hüsker Dü“ und „Soul Asylum“ etabliert haben: Gefühl und Härte. „Skunk“ reiben sich am alten amerikanischen Traum und wissen, daß ihr Land nie Unschuld und Moral besessen hat. Aus Melancholie darüber werden sie böse und nennen ihr Album sarkastisch Last American Virgin. Die nächste Platte steht noch dieses Frühjahr an.

Auf direkteste Weise wagen sich wohl „Run Westy Run“ an die traditionellen Formen amerikanischer Musik. Ihr mittlerweile drittes Album Green Cat Island beinhaltet die ganze Breite von Country über Blues zu Hardrock in fast originärer Form. In jedem Stück anders konserviert die Platte den unbekümmerten Charme von fünf Boys, die sich augenzwinkernd vieler Stilformen bedienen und sie doch respektvoll behandeln. Die neuen Lokalheroen in Minneapolis beherrschen sowohl die herzergreifende Ballade über den Herbst als auch den heftigen Rocksong über die schlechte Laune am Morgen. Sie wagen sich sogar perfekt in Shanty-Gefilde vor, als hätten sie nie was anderes gespielt. Dieses Wechselbad, in dem sich jeder Song einprägt, will immer wieder gehört werden. Nach zweimal verschobener Europatour kommen „Run Westy Run“ nun im März zusammen mit Grant Harts Band „Nova Mob“ nach Deutschland.

Mit diesen jüngsten Veröffentlichungen hinterläßt Twin Tone bei aller Diversität der Bands ein sehr homogenes Bild. Alle verbindet der sichere Umgang mit traditionellen Musikformen, sei es nun Country- Rock oder Punk, und deren Erweiterung. Mit diesem Potential könnte sich Twin/Tone zu einem ebenso wichtigen Label wie SST aus Kalifornien entwickeln. In der Midwest- Szene ist TT seit Mitte der Achtziger die wichtigste Plattform für Gitarrenbands und stark in der Region verwurzelt. Soviele Credits für Grant Hart... Michael Ballauf

—Agitpop: Stick it, TTR89152

—Run Westy Run: Green Cat Island, TTR 89199

—Skunk: Last American Virgin, TTR89156

—Toadstool: The Sun Highway, TTR89185

—Ween: God WEEN Satan, TTR 89186