Weniger abstrakte Wortklingelei-betr.: Beiträge auf der Debattenseite, taz vom 29.1. - 4.2.91

betr.: Beiträge auf der Debattenseite, taz vom 29.1. — 4.2.91

Der Nachrichtenteil der taz zu diesem Thema ist einsame Spitzenklasse, für den Kommentarteil gilt das leider nicht. Das Elend der KommentatorInnen beruht darauf, daß sie den Nachrichtenteil nicht lesen. Statt dessen formulieren sie Bekennerschreiben, Gesinnungsjournalismus baut politische Kastenhäuser.

Das ist aber ganz uninteressant, denn es darf ja wohl unterstellt werden, daß hier keine SchurkInnen die Ehrenrettung von Schurken und Massenmördern unternehmen. Mut zur Analyse der Fakten (Irrtümer eingeschlossen) würde dem Auftrag an den politischen Journalismus besser entsprechen, dem selbstgestellten der taz zumal — und besser der Erhellung des Lesers dienen. Auch wenn es mal weh tut. Hajo Seidel, Frankfurt am Main

Allmählich reicht es, wie ich finde: Auf der Debattenseite häufen sich seit einer Woche die Kommentare, die den Golfkrieg zumindest für teilweise berechtigt halten und die Friedensbewegung — was immer das sei— auseinandernehmen.

Um nicht mißverstanden zu werden: Ich meine nicht, daß solche Argumentationen auf dieser Seite nicht ihren Platz haben sollten. Gerade angesichts der Vielschichtigkeit des Problems scheint mir das durchaus berechtigt. [Schön wäre es allerdings, wenn sie nicht, wie der letzte Kommentar von Klaus Hartung, einfach auf den klassischen Denkschablonen unserer alten Geschichtslehrer aufbauen oder, wie der Artikel des Rußlandfeldzugsexperten Jörg Friedrich, schlichtweg Pazifisten als „Nullen“ und Mitschuldige am Zweiten Weltkrieg diffamieren würden — Heinrich Geißler läßt grüßen.] Was ich allerdings traurig finde, daß im Gegensatz zur Zeit vor Kriegsbeginn kaum mehr anderes zu lesen ist. Habt Ihr Euch von der allgemeinen Kriegshysterie anstecken lassen? („Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche“ — außer den „Pazifisten“ natürlich!) [...]

Also bitte, faßt Euch ein Herz und veröffentlicht mal wieder etwas von ausländischen Nahostexperten (wie Taheri oder Nirumand) und von Frauen (wie Astrid Albrecht-Heide), jedenfalls aber nicht nur Kommentare von realpolitischen deutschen lateinkundigen Männern! Andreas Unger, West-Berlin

[...] Die zahlreichen immer gleichen Kommentare, die die Notwendigkeit des Krieges unterstreichen, verblüffen mich: Warum sind diese wendigen Leute so leicht manipulierbar? Warum reicht der Appell an die Verantwortung der Deutschen gegenüber den Juden, um gleich den Verstand auszuschalten? Warum reicht nicht ein Plädoyer für Patriot-Raketen jetzt — und ansonsten Kampf dem Krieg, der auch Israel bekanntermaßen langfristig schadet? Warum dieses irrationale Herumgehacke auf der Friedensbewegung? [...]

Warum muß denn die Rechnung der Krieger so vollständig aufgehen: Bomben, Meinungen ausschalten, den Widerstand schwächen, in der der linken Intelligenz die Kriegslogik aufgedrückt wird, anstatt Strategien zum Stopp des Krieges zu entwerfen und in dieser Hinsicht die Friedensbewegung zu kritisieren, wird der Krieg zur Rettung Israels stilisiert.

Wolf Biermann in der 'Zeit‘: „Ihr lieben Friedensfreunde, dieses Leben steht sowieso auf dem Spiel, auch ohne Krieg.“ Dem Montagsexperten von der taz [Anmerkung der Red.: im Berliner Lokalteil] ist zuzustimmen: Wer so schreibt, soll auch schießen dürfen. Leider habe ich diese neuen Helden der Intelligenz noch nicht auf den Abschußrampen Richtung Golf gesehen. W.Linsenhoff, West-Berlin

Zur Zeit sind die LeserInnen der taz wirklich besser als manche ihrer Tageskommentatoren. Es scheint momentan zum linken Chic zu gehören, diejenigen, die gegen diesen Krieg sind, als Träumer und Naivlinge für das grundlegende Versagen der Politik verantwortlich zu machen. Was mich dabei anwidert, ist die stillschweigende Akzeptanz eines blutigen und grausamen Krieges, der jeden Tag mehr unschuldige Opfer fordert. Wohltuend fällt da schon ins Gewicht, wenn nicht wenige Leserbriefe der letzten Zeit von einer erfrischenden geistigen Klarheit sind und deutlich machen, wem dieser Krieg nützt, und wer wieder einmal auf der brutalen Schattenseite der Ereignisse steht.

Ich bin auch gegen Giftgas und sonstige Angriffe auf Israel, aber ist Verantwortung teilbar? Haben wir nicht auch Verantwortung für Palästina, Kurdistan, für die gesamte in der Region notleidende Zivilbevölkerung? Mein Tip an die betreffenden Kommentatoren: Weniger abstrakte Wortklingelei und Strategiedebatte, statt dessen mehr Schreiben der direkten Betroffenheit und das zwingend aus der Perspektive der Opfer. [...] Ulrich Sodtke, Karlsruhe