Die „unnachahmliche Sandy“ aus Michigan und der Golfkrieg

■ Das Militär will ihren Mann jetzt haben/ Jeff will eigentlich nur in den Krieg, damit er wieder was zu tun hat

Flint/Michigan (taz) — Dort Highway bei Nacht. Eine grelle Leuchtreklame verführt zum Abstieg in der „Sportslounge“: „Girls, Girls, Girls, das Bier 2.50 Dollar“. Hinter dem flachen Schuppen steht eine ganze Kolonne schwerer Buicks von den Fließbändern dieser General-Motors-Stadt geparkt. Eine Arbeitsschicht ist hier immer hungrig nach Sport, Bier und Mädchen.

Drinnen sitzen sie zu viert um die rechteckigen Holztische, die Schirme ihrer „United Automobile Worker“ Baseballmützen in die Mitte des Raumes gerichtet, wo Sandy sich zu den Rhythmen eines Disco-Songs gerade mit kommerzialisierten Balzbewegungen ihres Oberteils entledigt.

Wer ihr oder einem anderen der tanzenden Girls etwas näherkommen will, kann sie gegen ein Bündel Dollarnoten ins Separée bitten. Dort, wo sich im verspiegelten Hinterzimmer schmiegsame Mädchenkörper an rauhen Autoarbeitern reiben, erzählt Sandy von sich und dem Golfkrieg.

Sie ist froh, daß sie diesen Job hat. Hier kann sie tänzerisch mehr aus sich herausgehen als drüben in der Peepshow, wo sie vor sechs Wochen wegen angeblicher Prostitution herausgeflogen ist. Dabei konnte ihr Ehemann doch bezeugen, daß dies nicht stimmte.

Jeff, so heißt Sandys Ehemann, hat gegen ihren Job nichts einzuwenden. Treu holt er seine Frau jeden Morgen nach ihrer Schicht ab. Für die 70 Dollar pro Nacht müßte sie bei McDonalds 18 Stunden in der Burgerküche stehen. Und schließlich haben sie sich so kennengelernt. Das war eine irre Geschichte. Willst Du sie hören? Gut.

Vor drei Jahren auf dem High-School-Abschlußball in Indiana hatte Sandy zum Abschied einen Striptease aufs Parkett gelegt. Jeff war sehr beeindruckt. Seitdem sind sie zusammen. Das hält doch nie, hatten ihre Freunde damals getuschelt. Doch seit sechs Monaten sind sie sogar glücklich verheiratet. Der Akt habe halt geklappt, sagt sie stolz, und verweist wie zur Bestätigung auf ihre nicht zu übersehenden — und auch jetzt wieder freischwingenden — Attribute.

So hat sie sich einen Ehemann geangelt. Doch um den muß sie nun wieder Angst haben. Jeff war nach der High School zur Luftwaffe gegangen. Nach einem Streit mit seinem Vorgesetzten wurde er entlassen; nicht unehrenhaft, aber er war draußen. Jetzt will das Militär ihn wegen des Golfkrieges wiederhaben, die Papiere sind schon unterwegs. Und weißt Du was, flüstert sie leise: der will auch noch hin, der Idiot!

Der Ehestreit um die Wiederaufnahme von Jeffs Pilotenkarriere wird daheim stumm im Wohnzimmer ausgetragen. Während er den ganzen Tag vor CNN seine Kameraden „in action“ beobachtet, hat sie sich geschworen, nicht hinzusehen. Sandy versteht nicht, was dieser Krieg soll. An den Arabern haben sich die Amerikaner doch immer noch die Finger verbrannt.

Auch Jeff will eigentlich nur in den Krieg, damit er endlich wieder was zu tun hat. Seitdem die ihm sein Flugzeug unter dem Arsch weggenommen haben, sagt sie, vergeht der hier in Flint vor Langeweile. Daran ändert auch der Kurs in Parapsychologie nicht viel, den er am College belegt hat. Seine Kumpel necken ihn, er studiere dort nur die Geister aus „GhostbusterII“.

Sandy hat ihre eigene Art, mit der Golfkrise umzugehen. Seit Monaten schon versucht sie, schwanger zu werden. Nicht etwa um Jeff hierzuhalten, denn das würde sowieso nichts nutzen, wenn die Luftwaffe ihn erst einmal wieder aufgenommen hat. Nein, damit sie was hat, woran sie sich festhalten kann, wenn er dann doch in den Krieg muß. Dann könne sie natürlich nicht mehr hier tanzen, sagt sie etwas traurig, ehe die vereinbarte Zeit im Separée abgelaufen ist.

Bald wird sie im großen Saal wieder auf die Bühne gerufen. „Die unnachahmliche Sandy!“ Applaus von den Tischen und aus den Ledersesseln, in denen sich einige Manager aus dem Buick-Werk niedergelassen haben. Sie können ein wenig Zerstreuung gebrauchen. Der Krieg ist wirklich das letzte, was ihrer Autoindustrie in der gegenwärtigen Rezession noch gefehlt hat. Da geht es ihnen genauso wie Sandy.

Rolf Paasch