: War B-Waffenschmiede doch Babynahrungsfabrik?
Französische Konstrukteure und neuseeländische Experten widersprechen Behauptung Washingtons/ Widersprüchliche Darstellungen auch innerhalb der Bush-Regierung/ US-Regierung kritisiert CNN-Berichte als „Sprachrohr des Iraks“/ Irak fordert Untersuchung durch die Vereinten Nationen ■ Aus Washington Andreas Zumach
Nach offiziellen Angaben nehmen die Bomberpiloten der USA und ihrer Verbündeten im Golfkrieg nur militärische Ziele ins Visier. Am 21. Januar zerstörten US-Kampfflugzeuge eine Fabrik in einem Industriegebiet außerhalb Bagdads. Die irakische Führung erklärte, dabei habe es sich um die einzige Anlage des Landes gehandelt, in der Babynahrungsprodukte auf Milchbasis hergestellt werden. Über CNN-Reporter Peter Arnett, der die zerstörte Anlage am 23. Januar besichtigen durfte, fand der Vorwurf Iraks weltweite Verbreitung. In einem Brief an UN- Generalsekretär Perez de Cuellar hat der Irak inzwischen die Vereinten Nationen zu einer Untersuchung vor Ort aufgefordert.
„Wir sind ganz sicher, es war eine Fabrik für biologische Waffen“, begründete der Chef der Vereinigten Stabschefs der US-Streitkräfte, General Colin Powell die Zerstörung. Die Anlage sei „von militärischen Wachposten und einem Stacheldrahtzaun umgeben“ gewesen. Vor dem Eingang habe sich „eine militärische Garnison“ befunden. „Hier wurde genausowenig Babynahurng hergestellt, wie im libyschen Rabta Aspirin produziert wurde“, wies ein Pentagonsprecher skeptische Journalistenfragen zurück. Präsident Bush empörte sich über die Annahme, seine Bomberpiloten könnten eine Babynahrungsfabrik zerstört haben. Sein Sprecher Marlin Fitzwater nannte CNN ein „Sprachrohr der irakischen Desinformation“. Der Vorgang führt in den USA bis heute zu heftigen Attacken gegen den Kabelsender.
Jüngste Aussagen von Kennern der Fabrik vor ihrer Zerstörung und widersprüchliche Darstellungen verschiedener Stellen in der Bush- Regierung haben jedoch die Zweifel an der offiziellen US-Version verstärkt. Gebaut wurde die 1975 in Auftrag gegebene Fabrik zwischen 1977 und 1979 von dem französichen Unternehmen Pierre Guerin. Dessen Direktor, Michel Wery, erklärte letzte Woche gegenüber 'Libération‘ und 'Washington Post‘, daß in der Fabrik ab 1979 Babynahrung produziert wurde. Es wäre „unmöglich gewesen, diese Anlage zur Herstellung chemischer Produkte umzurüsten“. Laut Wery wurde die Fabrik bereits 1980 wieder stillgelegt, nachdem die letzten Techniker seiner Firma Bagdad verlassen hatten. Er habe gehört, daß die Produktion nach Verhängung des UNO-Embargos gegen den Irak wieder aufgenommen worden sei.
In direktem Widerspruch zur Version Washingtons stehen die Aussagen von zwei neuseeländischen Spezialtechnikern für Fabriken, in denen Milchprodukte verarbeitet werden. Malcolm Seamark und Kevin Lowe waren von Januar bis Mai letzten Jahres am Bau einer Käsefabrik beteiligt — rund 800 Meter von der angeblichen B-Waffenschmiede entfernt. Beide waren in dieser Zeit mehrfach in der inzwischen zerstörten Anlage, Seamark darüber hinaus „viele Male seit ihrer Fertigstellung im Jahre 1979“. Die beiden Neuseeländer erklären, in der Fabrik hätten sich „ausschließlich“ Einrichtungen zur Herstellung von Milchprodukten befunden. Am Eingang habe es keine militärische Garnison gegeben und auch die Sicherheitsmaßnahmen seien nicht ungewöhnlich gewesen. Die Anlage sei umzäunt gewesen, aber nicht mit Stacheldraht. „Jedermann“ habe „frei in der Anlage herumgehen können“ erinnert sich Lowe. Am Haupteingang habe lediglich ein ziviler Wachposten mit einem Gewehr gestanden, aber das sei „normal“ gewesen im dem vom Militär kontrollierten Land. Die Einrichtung der Fabrik war laut Lowe die einer „typischen Milchpulverfarik“. Seamark hat bei seinen zahlreichen Besuchen in den Jahren 1979 bis 1990 zu keinem Zeitpunkt in der Fabrik „irgendwelche ungewöhnlichen Gegenstände gesehen. Es waren alles typische Einrichtungen einer Fabrik für Milchprodukte“. Bei seinem letzten Besuch im Mai 1990 sei die Einrichtung noch immer dieselbe wie 1979 gewesen. Für die Zeit bis Mai 1990 hält er eine B-Waffenherstellung in der Anlage für „absolut ausgeschlossen“.
Die beiden Neuseeländer haben auch eine Erklärung für die Arbeitskleidung mit der englischsprachigen Aufschrift „Baby Milk Plant Irak“, in der der Manager der Fabrik in Peter Arnetts CNN-Bericht vom 23. Januar zu sehen war. Der Bush-Regierung und zahlreichen Kommentatoren des Vorgangs galt dies als besonders geschickter Trick der irakischen Führung, um das weltweite Fernsehpublikum zu täuschen. Nach Auskunft von Lowe und Seamark wurde diese Arbeitskleidung bereits von den Franzosen bei der Errichtung des Werkes geliefert.
Konfrontiert mit den Aussagen der Neuseeländer und Franzosen, bekräftigte Pentagonsprecher Kelly am Wochenende die Version von der B-Waffenfabrik. Konsens innerhalb der Bush-Regierung ist jedoch lediglich, daß die Fabrik — wie von General Powell offiziell mitgeteilt — zum Zeitpunkt ihrer Zerstörung als B-Waffenanlage diente. Genauere Nachfragen fördern Widersprüchliches zu Tage. Im Weißen Haus heißt es, die Anlage sei erst „im letzten Herbst“ zu einer B-Waffenanlage umgerüstet worden. Der Sprecher einer anderen Regierungsstelle, die nicht genannt werden darf, erklärte, die Anlage sei bereits ursprünglich als B-Waffenfabrik gebaut worden. Sie habe jedoch nur als „Reservekapazität“ gedient und sei zum Zeitpunkt ihrer Zerstörung nicht in Betrieb gewesen. Eine dritte, ebenfalls anonym bleibende Regierungsstelle sagte, in der Anlage seien „keine B-Waffen hergestellt worden“, sondern lediglich „Produkte, die zur Herstellung von B-Waffen nützlich sein können“.
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