„Die Verantwortung wird uns aufgezwungen“

■ Die Landesvorsitzende der Berliner FDP, Carola von Braun, wendet sich gegen den Einsatz deutscher Soldaten INTERVIEW

taz: ,Von deutschem Boden soll nie wieder Krieg ausgehen.‘ Nun starten von deutschen Flughäfen US-Flugzeuge direkt in den Nahen Osten. Gilt dieser Satz nicht mehr?

Carola von Braun: Als größer gewordenes Deutschland stehen wir heute einer erweiterten Verantwortung gegenüber. Damit meine ich nicht das altbekannte Reichsdenken oder die Großmannssucht, sondern im positiven Sinne eine gewachsene Verantwortung. Alle Beschlüsse, Positionen der vergangenen 40 Jahre müssen vor diesem Gesichtspunkt — sehr verantwortlich — neu durchdacht werden. Die Beschlüsse zum Beispiel zum sogenannten Bündnisfall sind aus einem reinen Nato-Denken heraus entstanden und werden, das zeigt sich jetzt, dem Konflikt am Golf nicht gerecht. Persönlich würde ich es unter dem Gesichtspunkt der erweiterten außenpolitischen Verantwortung also für richtig halten, daß deutsche Truppen ihren Beitrag bei den Blauhelmen leisten, das heißt, unter UN-Dach eingesetzt werden.

FDP-Vizechef Gerhart Baum befürwortet eine Grundgesetzänderung, damit deutsche Truppen künftig unter UN-Flagge kämpfen dürfen. Er meinte aber nicht nur Aktionen bei den Blauhelmen, sondern auch rein militärische. Können Sie sich dem anschließen?

Nein. Im übrigen gibt es bei der FDP dazu im Augenblick auch keine einhellige Meinung. Einen Blauhelm-Einsatz würde ich für angemessen halten — unter dem Stichwort erweiterte Verantwortung. In Konfliktregionen, wo wirklich kriegerische Auseinandersetzungen herrschen, kann ich einen deutschen Truppeneinsatz nicht befürworten und würde ihn auch deshalb nicht für richtig halten, weil wir eine Wehrpflicht-Armee haben. Hätten wir eine Berufsarmee, und ich bin seit vielen Jahren Befürworterin einer Berufsarmee, hätte ich weniger gegen einen Einsatz einzuwenden. Weil wir also eine Wehrpflicht-Armee haben, halte ich einen Einsatz in Kriegsregionen nicht für gerechtfertigt. Ich hätte erhebliche Bedenken, wenn eine Großzahl von Menschen, die den Wehrdienst absolvieren im Sinne einer Gemeinschaftsaufgabe — genauso, wie ein Wehrdienstverweigerer eine Gemeinschaftsaufgabe ableistet — verpflichtet werden, sich in einem Konflikt einzusetzen, wo sie möglicherweise auch große Probleme haben mit dem Anlaß der Auseinandersetzung.

Wie stehen Sie zu der Forderung nach einem bedingungslosen Stopp des Krieges?

Ein bedingungsloser Stopp ist nicht zu verantworten. Solange dort im Irak noch ein Mensch bzw. ein System die Macht hat, das mit chemischen Waffen droht, solange kann es keinen bedingungslosen Waffenstillstand geben. Ich habe immer zu denjenigen gehört, die die Einseitigkeit der großen Friedensdemonstrationen kritisiert haben. Ich habe kritisiert, daß der Anlaß für die kriegerischen Auseinandersetzungen von der Friedensbewegung nie artikuliert worden ist und insbesondere, daß die Angriffe auf Israel vernachlässigt wurden. Abgesehen davon nimmt aus meiner Sicht die Gefahr zu, daß es in diesem Krieg nicht mehr allein um Kuwait geht, noch nicht einmal darum, den Irak Saddam Husseins zu besiegen. Vielmehr entsteht inzwischen der Eindruck, daß dies ein Krieg der westlichen Industrienationen gegen die arabische Welt ist. Und das rechtfertigt jede politische Bemühung, Waffenstillstandsverhandlungen zu führen. Aber sie können nicht bedingungslos sein. Man muß sich natürlich auch fragen, wie ein solches Regime, ein solches System — die Frage gilt auch für Deutschland von 1933 bis 1945 — sich in dieser Weise festsetzen konnte, und ob nicht aus der irakischen Bevölkerung selbst heraus mehr Widerstand möglich gewesen wäre.

Der Krieg scheint ja geradezu eine einheitliche Unterstützung Saddams durch die irakische Bevölkerung zu befördern.

Deshalb müssen wir alles dafür tun, daß vor und hinter dem Vorhang politische Verhandlungen für eine Beendigung des Krieges energisch vorangetrieben werden, auch wenn sie nicht bedingungslos sein können. Wir müssen sehr umfangreiche auch finanzielle Maßnahmen ergreifen, die uns wahrscheinlich ökonomisch wehtun werden, für die Zeit nach diesem Krieg.

In Bonn diskutiert man, für die Finanzierung des deutschen Anteils am Golfkrieg die Steuern zu erhöhen. Eine richtige Maßnahme?

Ich denke, das kann man nicht losgelöst sehen vom Gesamtkomplex. Ich gehe davon aus, daß es zu Golfsteuern kommen wird. Sie sollten aber nur für humanitäre Zwecke eingesetzt werden.

Das ließe sich aber nicht kontrollieren.

Das läßt sich zugegebenermaßen nur schwer kontrollieren, trotzdem finde ich, daß wir uns dem nicht entziehen können.

Der Bundeskanzler will zur Feststellung des Bündnisfalles den Bundestag hinzuziehen. Wie würde sich bei einer Abstimmung die FDP verhalten?

Dazu zeichnet sich in der FDP noch keine klare Position ab. Das ist ja eine der fundamentalen Fragen, die sich Deutschland nach dem 2.Weltkrieg stellen, und ich bin ganz froh darüber, daß es in meiner Partei dazu keine klare Marschroute gibt. Der Eindruck besteht schon, daß Bonn zu Beginn des Konflikts gedacht hat, es kann sich irgendwie daran vorbeimogeln. Wir alle haben das gedacht. Aber die Verantwortung wird uns aufgezwungen.

Interview: Barbara Geier