: Sanierung im politischen Gestrüpp verheddert
Altlasten der vergangenen 200 Jahre liegen im Land Brandenburg vergraben/ Kommunen sind zur Gefahrenabwehr verpflichtet/ Wenn etwas fehlt, dann ist es Geld/ Keiner will die Sanierung bezahlen/ Werden die hinterlassenen Drecklöcher jemals die Goldgruben für Kommunen? ■ Von Hermann-Josef Tenhagen
Berlin (taz) — „Wenn wir ihnen auf die Pelle rücken, dann schieben sie über jede ihrer Müllkippen Erde drüber. Damit erreichen wir gar nichts.“ Die Frustration ist unüberhörbar in der Stimme von Dieter Spitzer, Mitarbeiter des Landratsamtes Wittstock an der Nordgrenze Brandenburgs. Sie, das sind die Soldaten der „Westgruppe der Sowjetischen Streitkräfte“, jene 380.000 Mann des früheren großen Bruders, die bis 1995 die Ex-DDR verlassen haben sollen.
Soldaten robben nicht nur durchs Gelände, marschieren und paradieren. Sie ölen auch ihre Waffen, verschießen ihre Munition, streichen und waschen ihre Panzer, Lastwagen und Geschütze. Der Ölwechsel nimmt keine Rücksicht auf das Grundwasser, und auch die Patronenhülsen werden nicht eingesammelt. Kurz: wenn sie üben, versauen sie die Umwelt — in Ost wie übrigens auch in West. Wenn die Sowjetsoldaten nun endgültig abziehen, hinterlassen sie eine Erblast: 243.000 Hektar DDR-Land nahmen die Sowjets für Kasernen, Truppenübungs- und Schießplätze in Beschlag. Unter den 1.600 sowjetischen „Objekten“ in den fünf neuen Bundesländern vermuten Kenner eine riesige Zahl militärischer Altlasten; allein 1,5 Millionen Tonnen Munition sollen noch dort lagern. In der alten DDR hatten die lokalen, aber auch die zentralen Umweltbehörden bei den Sowjetsoldaten nichts zu melden. Auch wenn sich der „große Bruder“ nach dem Stationierungsabkommen von 1957 grundsätzlich an die DDR-Gesetze halten sollte, geschert hat ihn das wenig. Müll- und Abwassergebühren zahlten die Sowjets nicht, die Kasernen verfügten häufig nicht einmal über eine vernünftige Kanalisation. An die Vollstreckung von Bußgeldbescheiden war nicht zu denken.
Der Abzugsvertrag vom Oktober 1990, der die Rückkehr der Soldaten und ihrer 240.000 Familienangehörigen bis 1995 regeln soll, verpflichtet die Sowjets, diesmal expressis verbis, auf die bundesdeutschen Umweltgesetze. Der Status als Besatzungsmacht ging verloren, die Exterritorialität der sowjetischen Einrichtungen wurde erheblich eingeschränkt. Doch in der Praxis ändert das alles wenig. Zwar stellen lokale Beamte inzwischen mehr guten Willen bei den Sowjetoffizieren fest; wenn es aber ans Portemonnaie geht, stoßen sie nach wie vor auf taube Ohren oder auf leere Kassen.
Brandenburgische Ambivalenzen
Die Abrüstung befreit das Land vom militärischen Alp, der über ihm lag. Kerosinwolken über den Dächern sollen der Vergangenheit angehören, bisher von Kampfflugzeugen Verängstigte sollen wieder ruhig schlafen können. Die Panzer werden überflüssig, Schwerter könnten zu Pflugscharen umgeschmolzen und Manövergelände unter den Pflug genommen werden — wären da nicht die militärischen Altlasten.
Brandenburg gewinnt besonders viel Land zurück: 120.000 Hektar. Schon zu Zeiten der alten Preußen tobten die Militärs gerne durch die Mark. Den Preußen folgte die Reichswehr, dann die Wehrmacht und nach 1945 die Rote Armee.
„Abrüstung und Truppenreduzierungen erfolgen in einem Tempo und einer Radikalität, wie es sie in den letzten Jahrzehnten nicht gegeben hat“, konstatiert der Konversionsexperte Hans Peters. Rechte Freude will bei den brandenburgischen Kommunen dennoch nicht aufkommen. Gern würden sie die freiwerdenden Sowjet-Gelände als Grundstock für eine in der DDR unbekannte kommunale Gewerbepolitik übernehmen. Doch vorher müssen einige massive Brocken aus dem Weg geräumt werden.
Erstens gehören die meisten Liegenschaften nach dem Abzug der Bundesvermögensverwaltung — und die will sie für Cash verkaufen. Dafür aber haben die neuen Kommunen kein Geld. Nur Gemeinden, die nach dem Krieg Gelände an die Sowjets abgeben mußten, könnten diese Gelände ohne Kauf zurückbekommen. Gekauft oder zurückbekommen: Alle Kommunen müssen die militärischen Altlasten sanieren. Prinzipiell ist für die Kosten solcher Sanierungen der Verursacher haftbar. Auch der Vertrag über den Abzug der sowjetischen Streitkräfte sieht das vor. Doch die Gemeindeväter sind zu Recht skeptisch. Schon im Westen können sich Kommunen kaum gegen die Westallierten durchsetzen. Ohne langjährige Erfahrung in solchen Auseinandersetzungen und finanzielles Stehvermögen sehen die Ost-Bürgermeister schwarz.
Brandenburgs Umweltminister Matthias Platzeck drängte daher auf einer Potsdamer Tagung mit Kommunalvertretern und Bonner Ministerialbeamten auf schnelle juristische Nachbesserungen. Entscheidungen über die Sanierung müßten zügig getroffen werden. „Viele Informationen sind nur von den abziehenden Truppen und ihren Kommandeuren zu erhalten.“ Platzeck und der Konversionsbeauftragte der Landesregierung, Dohmke, sehen Sanierungskosten in zweistelliger Milliardenhöhe. Ob selbst mit dieser immensen Summe der von den Gemeinden gewünschte naturnahe Zustand der Gelände wiederhergestellt werden kann, ist zweifelhaft. Der Kasseler Sanierungsexperte Wolfram König bemerkt dazu: „Bisher existieren keine anwendungsreifen Sanierungstechniken. Kampfmittelbeseitigung ist keine Sanierung, im Gegenteil, es entstehen sogar neue Belastungen.“ Dennoch ermutigt König die Bürgermeister aktiv zu werden. „Wenn die Kommunen im Rahmen ihrer Planungshoheit beim Flächennutzungsplan etwas festlegen, können sie auch ohne Eigentumstitel auf die Art der Sanierungsversuche Einfluß nehmen.“ Das Sanierungsziel Wohngebiet zum Beispiel verleihe dem Sanierungsprojekt Priorität. Wenn man den Eigentümer Bund drücken könne, dann so.
Vorläufig will der Bund sich aber nicht drücken lassen. Auch Nachbesserungen im Einigungsvertrag und in den Verträgen mit den Sowjets lehnten die Vertreter des Finanzministeriums kategorisch ab. „Wir können von den Sowjets verlangen, daß sie diese Kosten übernehmen“, bekräftige Abteilungsleiter Jochen Kampmann. Der Bund habe schon drei Milliarden für die Gelände, eine Milliarde für die Truppenverlegung und drei weitere Milliarden als zinslosen Kredit an die Sowjets vergeben. Man könne doch eine solche Vertragsposition nicht einfach aufgeben. „Die Kommunen müssen sowjetische Truppen sehr nachhaltig und intensiv auf ihre Zahlungspflicht verweisen.“ Für den Notfall, beruhigte Kampmann die Öffentlichkeit, greift das Polizeirecht: „Die Gemeinden müssen handeln, wenn Gefahr im Verzug ist.“ In diesem Fall, so sind sich die Experten einig, kann die Kommune auf die Kasse von Bundesfinanzminister Waigel zurückgreifen. Der Bund als Eigentümer ist aber nicht verpflichtet einen ökologisch unbedenklichen Zustand für die Nutzung des Geländes herzustellen. Er muß nur unmittelbare Gefahr abwenden, mit anderen Worten nicht sanieren. Die Gemeinden stehen vor einem Dilemma: Wenn sie ein Gelände nicht kaufen, wird nicht (vernünftig) saniert und sie können es nicht zur Regionalplanung nutzen. Wenn sie es aber kaufen, müssen sie selbst sanieren, denn dann sind sie die Eigentümer. Das aber übersteigt ihre finanziellen Möglichkeiten. Roland Vogt, westerfahrener Berater der Landesregierung, spitzt den Konflikt zu: „Die Verteidigung galt immer als zentralstaatliche Aufgabe; das Motto für die Kommunen war, nicht reinreden, Klappe halten. Aber jetzt bei der Verteilung der militärischen Altlasten will man sie blechen lassen. So schnell kann der Staat gegenüber den Kommunen nicht das Gewand wechseln.“
Militäraltlasten bürokratisch: Das Bundesumweltministerium arbeitet an einem Altlastenkonzept, ein Abzugsplan für die Sowjets liegt inzwischen vor, guter Wille zur Mithilfe wird vielen Sowjetkommandeuren unterstellt. Viele Ost-Kommunen werden sich jedoch im Gewirr der diplomatischen und finanziellen Ränkeschmiede verheddern. Nur mit langem Atem und viel taktischem Geschick werden sie die militärischen Drecklöcher innerhalb ihrer Gemeindegrenzen in die erhofften Goldstücke verwandeln können. Eine wirkliche Alternative, da waren sich Experte Peters und Kommunalbeamter Spitzer einig, gibt es nicht.
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