Recht kriegen im Knast ist schwierig und vergeblich

■ Untersuchung über die Chancen von Gefangenen im Rechtsstreit mit der Anstalt / Nur 3,5% gewinnen

Streit gibt es um Kukident-Gebißreiniger, um Leselampen, Ausgang, Kopfkissen oder Fernseher: Rechte haben und recht kriegen ist zweierlei. Und wer im Knast sitzt, hat mit der Anstaltsleitung oder der Justizbehörde fast seine ganze Welt in kompetenter und mächtiger Form gegen sich. Bundesweit nur 3,5% der Knackis, die Rechte gerichtlich erstreiten wollten, konnten sich durchsetzen — aber auch das dann meist vergeblich. Der Bremer Professor Johannes Feest untersuchte zusammen mit Dr. Peter Selling die „Rechtsdurchsetzung in der totalen Institution“.

taz: Welche Rechte haben Gefangene, worum streiten sie vor Gericht?

Prof. Johannes Feest: Es gibt seit 1977 Rechte wie mindestens 1 Stunde Besuch pro Woche oder auf täglich 1 Stunde Aufenthalt im Freien. Bei vielem anderen hat aber die Anstalt ein Ermessen: die wichtigen, begehrteren Sachen wie Lockerungen, Urlaub... Und auf 8 qm und in einer totalen Institution nimmt manches ungeheure Bedeutung an. Gefangene kämpfen um Fernsehgeräte, Computer, eine Leselampe, ein Federkopfkissen, Schreibpapier, Malutensilien...

Es geht dabei ja nicht um Geschenke, sondern um das Recht, sich z. B. Papier kaufen zu dürfen vom eigenen Geld — wie liberal handhabt Bremen die Ermessensspielräume?

Bremen ist auf der liberalen Seite; als einziges Bundesland hat es den „Ratgeber für Gefangene“ nicht verboten. Oder: In Bremen dürfen alle auf der Zelle Fernsehapparate haben, das ist in anderen Bundesländern noch ein großes Problem.

Was haben Sie untersucht, und was kam raus?

Erstens: Bundesweit 1.500 Fälle, die in 1986 von Oberlandesgerichten (OLG) entschieden wurden in Strafvollzugssachen. Die Gefangenen gewannen nur 3,5% der Fälle. Aus Bremen waren vier dabei, aber keiner, der gewonnen hat. Zweitens: Von 1986 an haben wir die 106 Fälle verfolgt, in denen Gefangene gewonnen haben. Und dabei ist das Ergebnis noch viel niederschmetternder: Meistens wird die Anstalt nur dazu verpflichtet, eine neue Ermessenssentscheidung zu treffen — die kann wieder negativ sein, aber juristisch besser begründet.

Woran scheitern die Gefangenen?

Sie sind juristisch schlecht belehrt, die wirklichen Spezialisten sind die Anstaltsleiter und die Strafvollstreckungskammern. Der Gefangene wird nicht mündlich gehört und ist meist nicht in der Lage, die schriftliche Darstellung der Anstalt zu widerlegen.

Wieviel absurde Mühe muß ein Gefangener aufwenden, um sich vom eigenen Geld einen banalen Gegenstand kaufen zu dürfen?

Ein Gefangener der JVA Werl wollte sich Kukident kaufen. Das stand aber nicht auf der Liste der zugelassenen Kosmetika oder Chemikalien. Er klagte. Das

Foto:Wolfram Steinberg

Landgericht entschied positiv. Dagegen mußte die Anstalt auf Weisung von oben Rechtsbeschwerde einlegen, und das OLG hat schließlich entschieden, den Einkauf von Kukident zu gestatten...

Das glückliche Ende hat er noch erlebt?

Es war ein Lebenslänglicher. Nur Gefangene mit langen Strafen können sinnvollerweise vor die Gerichte gehen. Meist, auch in Bremen, ist noch ein 'Verwaltungsvorverfahren' vorgeschaltet, das dauert Wochen oder Monate, die erste Instanz ein halbes

oder ganzes Jahr, — und dann geht die Anstalt oft vors OLG, also 1,5 bis 2 Jahre...

Welche Strategien haben die Anstalten, um solche Verfahren zu vermeiden?

Viele Anstalten, auch in Bremen, geben grundsätzlich ihre Entscheidungen mündlich bekannt, so daß der Gefangene nichts in der Hand hat und verwirrt ist. Oder: Sie üben in andern Punkten Druck aus, damit er die Sache zurücknimmt, etwa beim Besuchsrecht. Auch Verlegung ist eine beliebte und effektive Strategie, dann muß das Verfah

ren von vorn wieder anfangen.

Was ist die Logik des Apparats?

Das Trägheitsmoment ist groß, was schon immer so war ... Oft liegt auch der einzelne Gefangene im Konflikt mit der Anstalt, die eigentlich eine Sache gestatten würde, aber diesen Gefangenen disziplinieren will. Oder umgekehrt: Dem einzelnen würde sie etwas geben, aber befürchtet, daß es dann alle wollen.

Wo hakt es? Sie haben festgestellt, daß die Gefangenen ihre Rechte nicht einmal kennen.

Mit dem bloßen Gesetzestext können Nichtjuristen meist wenig anfangen. Wichtiger ist, daß eine regelmäßige Rechtsberatung stattfindet; das ist glücklicherweise in Bremen der Fall, durch den „Verein für Rechtshilfe im Justizvollzug des Landes Bremen“, der vor 12 Jahren als echtes Projekt an der Universität gegründet wurde - und dem ich im Moment wieder vorstehe.

Raten Sie, vor die Gerichte zu gehen?

In den seltensten Fällen. Es ist besser, die Sache durch Ombudsleute vor Ort zu klären.

Sie sind Jurist und raten zu informellen Lösungen: eine deprimierende Bilanz...

Für Juristen ja. Es ist politisch übrigens auch umstritten, sich auf Ombudsleute statt auf Gerichte zu verlassen.

Was fordern Sie?

Daß vieles im Gesetz klare Rechte sind statt Ermessensbestimmungen, z. B. 21 Tage Urlaub im Jahr. Den bekommt man schon heute nur, wenn keine Gefahr der Flucht oder weiterer Straftaten besteht.

Das ist Bundessache. Was soll der Bremer Justizsenator tun?

Das vorgeschaltete Verwaltungsvorverfahren abschaffen, das nur Zeit kostet. Und: Schlichtung könnte gut und schneller funktionieren und die Gerichte entlasten. Ein Richter aus Werl hat versucht zu vermitteln, statt zu entscheiden. Weil er weiß, seine Entscheidung bringt eigentlich nichts. Fragen: S.P.

DerDFG-Forschungsbericht wird 1991 als Buch erscheinen.