Macht Bücher weniger!

■ Zwölf neue Ostberliner Verlage zeigen ihre Produktion

Seit Beginn des Jahres 1990 hat die gesamtdeutsche Kulturlandschaft eine Reihe von Verlagen dazugewonnen, die sich nun, da klein und auflagenbeschränkt, wenn auch nicht unscheinbar und durchaus reizvoll, zum ersten Mal in einer Übersichtsschau in der Stadtbibliothek in der Breite Straße in Berlin-Mitte präsentieren. Ebenso bescheiden wie die Selbstpräsentation der Verlage ist die Aufmachung der kleinen Ausstellung: Auf einem Kreis von Pappwänden stellen die Verlage ihr Profil und Programm mit Buch- bzw. Zeitschriftenproben vor. Schon bald sticht eine Vorliebe fürs Bibliophile ins Auge: Mehrere Verlage widmen sich der Edelproduktion von TextGrafik-Kombinationen, wenden sich an Liebhaber und Sammler und den gehobenen Geschmack — das Bedürfnis, dem man damit offensichtlich entgegenkommen möchte, scheint das nach Individuellem, nach Raritäten, nach der Nicht-Massenanfertigung zu sein.

So preist sich die »Corvinus Presse«, ein Ein-Mensch-Verlag, wie sie sich selber nennt, mit der Herausgabe von Lyrik als »Rückstichbroschur mit Handfaden- oder Japanheftung« an, enthält handgezeichnete Porträts ihrer Autoren. Die Büchlein lassen sich leicht in der Hand halten und sind kaum 30 Seiten dick. Die »Katzengrabenpresse«, ein Anderthalb-Mensch-Verlag, wirbt ebenfalls mit dem Besonderen und Exquisiten: »Jedes Buch hat seinen Faden: Signum für Individualität.« Es gibt dort neben geschriebenen und gedruckten Büchern auch »körperhaft-plastische Exemplare«, deren Auflage auf neun Stück limitiert ist. Offenbar haben sich diese Kleinverlage vorgenommen, den Wert des Buches dadurch zu heben, daß sie es eher dem Markt entziehen, als ihn damit zu überschwemmen: Alle werben mit Buchausgaben, deren Prädikat »limitiert, numeriert, signiert« lautet. Genialisch, jung, expressiv — die Gelegenheitsgedichte der vormaligen Untergrundlyriker mit der existentialistischen Geste scheinen die einzige unwidersprochene Identifikationsbasis für die sich neu formulierende Geisteskultur abzugeben.

Ebenfalls an den Leser mit ästhetischem Anspruch wendet sich der Bonsai-TYPART-Autorenverlag, der »künstlerisch wertvolle Bücher mit Originalgrafiken in technisch möglichst perfekter Form« herstellen will. In der Zugluft ist eine solche Liebhaber-Anthologie, auffallend ist, daß immer wieder die gleichen Autoren in den verschiedenen Verlagen verlegt werden, Elke Erb oder Stefan Döring beispielsweise, aber auch Elisabeth Lenk.

Auch Anbau-Altlektor Gerhard Wolf hat sich mit seiner »Janus Press« ebenfalls für einen zeitgeistig- schicken Alleingang mit Lyrik-Grafik-Kombinationen entschieden, ihr Gütesiegel: Sie werden auf »rotis von Otl Aicher« (ein Freund der Geschwister Scholl) gedruckt.

die verrückteste und existentialistischste Verbindung in diesen Ein- bis-Eineinhalb-Menschen-Verlagen ist wohl die von »Matthias« Baader Holst und Peter Wawerziniek zum Verlag Warnke und Maas, wobei ersterer Gründer wohl entsprechend seinem aufs Ganze gehenden Lebensmotto bereits zur deutschen Einheitsfeier aus dem Leben schied, kurz nachdem er das zweite der zwei einzigen bis jetzt dort verlegten Bücher selbst geschrieben hatte, aber immerhin, weitere von weiteren Autoren sind geplant.

Einen interessanteren Einblick in die Geisteslage der vormaligen DDR bieten wohl die Verlage, die sich die Herausgabe von Zeitschriften als Schwerpunkt gesetzt haben. So der KONTEXTverlag, der seinen Namen von der gleichnamigen Zeitschrift ableitet, die bereits seit 1988 erschienen ist: »bis Herbst 1989 die auflagenstärkste und daher am meisten verbreitete Untergrundzeitschrift der DDR«. Bis Nummer 7 (1989) natürlich hektographiert, schreibmaschinengetippt auf grauem, brüchigem Papier, schwer lesbar, jetzt auf Hochglanzpapier mit Fotos, in Nummer 11 sogar Nacktfotos nach Wendung des Untertitels von »Beiträge aus Kirche & und Gesellschaft & Kultur« zu »Beiträge aus Politik Gesellschaft Kultur«. Der Name KONTEXT ist Programm: Es werden politische Essays, Berichte aus der Geisteswissenschaft mit literarischen Texten aller Genres verbunden, daneben gibt der Verlag auch Bücher und Anthologien mit Zeitschriftenbeiträgen heraus.

Der »Basisdruck« produziert gleich mehrere Zeitschriften: neben 'Die Andere‘ die Frauenzeitschrift 'Ypsilon‘ und den 'telegraph‘ als Nachfolger der 'Umweltblätter‘, herausgegeben von der Umweltbibliothek Berlin, der mit dem Prädikat »behördenunfreundlich« für sich wirbt.

Im »Thomas Müller Verlag« erscheint 'Litfass‘, die Zeitschrift für Literatur, und ebenfalls eine Jungkünstler-Anthologie: 'Doppeldecker‘, ein Text-Grafik-Konvolut aus »ganz« Berlin. Der Verlag »construktiv« schließlich ediert die gleichnamige kulturpolitische Zeitschrift, deren Herausgeber Ulrich Herold renommierte Berater wie Walter Jens, Stefan Hermlin oder Robert Jungk vorweisen kann. Darüber hinaus plant er die Einrichtung einer Typo-Design-Werkstatt und die Herausgabe einer Musikzeitschrift mit dem Namen 'motiv‘.

Die »Unabhängige Verlagsbuchhandlung Ackerstraße«, die, wie sie einräumt, weder unabhängig ist noch eine Verlagsbuchhandlung in der Ackerstraße besitzt, sich dafür als Kollegium von »vier Narren« bezeichnet, weshalb sie offensichtlich Ludwig Tiecks Geschichtschronik der Schildbürger verlegt, gibt eine Literaturzeitschrift mit dem Namen 'Eselsohren‘ heraus und eine weitere, die sich 'Ich — Die Psychozeitung‘ nennt. Eine Besonderheit unter diesen Neuverlagen ist das »Autoren-Kollegium«, der einzige Verlag, der sich auf Theatertexte spezialisiert hat und diese in großen schwarzen Schulheften maschinengeschrieben ediert.

Die einzigen Sachbücher indes gab es im Verlag »Links-Druck« zu entdecken: Er führt Titel wie DDR zwischen Wende und Wahl neben Die Szene von innen (Skinheads, Grufties, Heavy Metals, Punks) und Verschwiegene Zeiten (Vom geheimen Apparat der KPD ins Gefängnis der Staatssicherheit). Ansätze, wichtige Nachholversuche — wie viele Verlage und Zeitschriften indes gleichzeitig eingehen, wurde freilich nicht erzählt. Michaela Ott

Die Ausstellung ist bis 23. Februar geöffnet.