Umsteigen ist möglich

■ Schnee macht Verkehrsvisionen wahr/ Raserfreie Straßen, gedämpfte Autos und fast alle fahren Bus, U-Bahn oder Tram/ Wenn's taut, ist alles vergessen

Berlin. Jetzt reicht es wirklich. Als Benutzer des öffentlichen Nahverkehrs und Anhänger einer möglichst autofreien Stadt und Gesellschaft kenne ich seit gestern mal wieder keine Gnade mehr mit den individual verkehrenden und real verpestenden ChauffeurInnen dieser Stadt. Denn der dicke Neuschnee, den das Tief Dietlinde (jetzt über Polen) gestern und am Wochenende abwarf, erbrachte wieder mal den Beweis: Umsteigen ist möglich. Ganz ohne hyperteure Parkuhren, Gehweg- Poller, Erhöhung der Mineralölsteuer, Tempolimit, Busspuren, ausufernde Fußgängerzonen, Zick-Zack zwischen Blumenkübeln, billige Umweltkarten und Dauerstau. 750.000 Fahrten mehr als sonst wurden auf den Bus-, S-, U- und Straßenbahnlinien von BVG und BVB verzeichnet.

Bei Angst vor Blechschäden, wenn die Windschutzscheibe stundenlang freigekratzt werden muß, wenn die gesamte Karosse abzufegen ist, wenn der Schlitten nicht anspringt, wenn stadtweit Schliddertempo 30 herrscht — dann läßt sogar die ADAC-BerlinerIn ihren Trabi oder Kadett ausnahmsweise mal stehen. Der bloße Niederschlag reicht, wenn er in Menge fällt und liegenbleibt. Dann plötzlich werden für kurze Zeit verkehrspolitische Visionen wahr, siegt die Vernunft aus Bequemlichkeit. (Genauso wie die Bombenangst so manchen erst wieder daran erinnerte, daß es neben Airbussen auch Intercitys gibt.) Fast möchte man sich Permafrost wünschen, Winter auch im Mittsommer, oder daß sich in den wärmeren Jahreszeiten zumindest knüppeldicke Staub- und Schlammschichten auf Lack oder Asphalt legten, Sand auch ins hermetischste Getriebeblöckchen dränge.

Doch selbst unter dem vom Vater Frost verordneten Umstieg müssen noch die leiden, die immer Bus und Bahn benutzen. Im Untergrund, in den sie von den Autofahrern gedrängt wurden, werden sie nun auch noch ihren Stammstehplatz los, müssen sie wegen Überfülle den nächsten Zug abwarten, an der Rolltreppe geht nichts mehr, und immer droht der Kontrolletti. Immer wissend und darüber fluchend, daß ihr öffentlich-rädriges System das bessere, schonendere und wirklichkeitsnähere System ist — aber leider nicht ausgebaut werden kann und immer teuerer wird, weil die KollegInnen am Steuer ihren Untersatz mutterseelenallein gern eine ganze Stunde am Tag lang im Staukollektiv bewegen. Oh, Constance, Du nächstfolgendes Schneetief, laß neben den glitzernden Kristallen auch ein wenig Hirn herunterfallen. kotte