Der große Inqusitor und das Böse-betr.: "Das Echo der eigenen Vergangenheit" (Hans Magnus Enzensberger über Saddam Hussein, Adolf Hitler, die Irakis und die Deutschen) von Karen Pfundt, taz vom 5.2.91

betr.: „Das Echo der eigenen Vergangenheit“ (Hans Magnus Enzensberger über Saddam Hussein, Adolf Hitler, die Irakis und die Deutschen) von Karen Pfundt,

taz vom 5.2.91

[...] Obwohl es im Golfkrieg nicht um ein Gottesurteil über einen brutalen Diktator geht, indem man dessen Volk dezimiert, da wären einige und einige Länder noch zu vernichten, instrumentalisiert Enzensberger den Führermythos, indem er Saddam Hussein mit Hitler vergleicht. Dabei wußte er — ein paar Lesefrüchte aus den sechziger Jahren — 1967 zum Vietnamkrieg noch zu sagen: „Denn auch Vietnam ist ein Modell. Nicht nur ein paar Plantagen und Gruppen, sondern die Basis wird dort verteidigt, auf welcher der Reichtum der reichen Welt ruht. Es geht dort nicht allein um den Kopf des Marschalls Ky, auch um den des Schahs, um den Kopf der Gorillas in Südamerika und um den Kopf der afrikanischen Statthalter der reichen Welt.“ (in: B.Nirumand: Persien-Modell eines Entwicklungslandes. Reinbek 1967, S.153). Stellte H.Mejcher in der 'FR‘ vom 29.1.91 seine historische Analyse unter den Titel „Die rohstoffstrategische Sicherheitspolitik war und ist konstitutiv für die Staatsbildung in der Golfregion“, so schwafelt Enzensberger von der realen und imaginären Erniedrigung, aus der heraus das Kollektiv seine Vorräte aus Haß anlege. Als Allerweltsargument bleibt ihm, dem Ignoranten — das Anthropologische. Er definiert Hitler und Saddam Hussein als „Feinde der Menschheit“ und setzt diese in den ideologischen Himmel als „anthropologische Tatsache“. Warum nicht gleich die Astrologie bemühen? 1968 (im Kursbuch 11, Seite 160) hatte Enzensberger noch Lyndon B.Johnson zitiert, der Anfang 1967 vor amerikanischen Soldaten gesagt hatte: „Vergeßt das eine nicht: Wir sind ganze 200 Millionen. Fast drei Milliarden stehen uns gegenüber. Sie wollen das haben, was wir haben. Aber sie werden es nicht kriegen — nicht von uns!“ Wolf Biermann ('Die Zeit‘) und Enzensberger verkaufen ihr linkes Image in ihrer Zustimmung für diesen Krieg. Robert Lederer, Bochum

[...] Wenn Enzensberger unbedingt den Vergleich Saddam Hussein/Hitler ziehen will, warum hat er es nicht nach dem irakischen Überfall auf den Iran oder dem Giftgasangriff auf die KurdInnen im eigenen Land getan? Damals war Saddam Hussein heißgeliebter Geschäftsfreund und Partner der Bonner Saubermänner — wie heute El Assad oder Özal. Nachdem er aber durch seinen Griff nach dem Erdöl und seine verstärkte, inzwischen offen antiamerikanische Politik in Ungnade gefallen ist, sah sich Enzensberger berufen, sein opportunistisches Geschmiere dem nationalliberalen Nachrichtenmagazin anzubieten.

Enzensberger gibt vor, sich mit deutscher Geschichte auseinanderzusetzen. De facto aber führt er eine deutsche Tugend weiter, die viele schon für überwunden hielten: Obrigkeitshörigkeit — dazu haben immer auch Intellektuelle gehört, die unter liberalem Deckmantel Regierungsvorstellungen anspruchsvoll ausschmücken.

Im Militärministerium wird schon seit langem an Plänen gearbeitet, deutsche Eingreiftruppen (ob unter vorgeblichem UNO- oder EG- Auftrag ist noch offen) wieder in aller Welt einzusetzen. Enzensbergers Schützenhilfe wird von der Hardthöhe gern gesehen, denn wer würde gegen einen „neuen Hitler“ nicht auch deutsche Soldaten einsetzen wollen? Marcus Schwarzbach,

Immenhausen,

[...] Einerseits werden in dem 'Spiegel‘-Artikel Diktaturen wie die von Franco, Batista, Marcos und Pinochet zur „Normalität der Staatenwelt“ erklärt, ebenso wie zu den „normalen Mitteln der Politik“ gezählt wird, daß die Siegermächte nach dem Ersten Weltkrieg zum eigenen Nutzen (Ordnungsfaktor, Geschäftspartner, Gegengewicht gegen sowjetische Drohung) mit Hitler zusammenarbeiteten. Anderseits wird mit mitleidsloser Verachtung auf die „ewigen Verlierer“ mit ihrer „Neigung zu kollektivem Selbstmord“ geblickt.

Ich vermisse die Auseinandersetzung mit dem schuldhaften Versagen aller Beteiligten. Sigrid Meier, Cuxhaven

[...] Enzensberger, dem großen Inquisitor gelingt es, das Böse zu erkennen — es ist ein Mensch, ein Monster, wie damals. Den geballten Schwachsinn mit bedeutungsvollem, mystischem, historischem Anstrich präsentiert der 'Spiegel‘ gleich auf Seite 1 als scharfsichtige, unbequeme Einsicht. Und dann das alte Märchen, neu und bunt: Es war einmal ein böser Mann. Das Böse tätschelt kleine Kinder ('Bild‘), ist ein Monster, der Feind des Menschengeschlechts, wendet Gase und Raketen an, um sein Ziel zu erreichen! Recht hat er, der Große Inquisitor. Wer das tut, ist entweder Böse oder er kämpft für die Freiheit (Vietnam läßt grüßen). Das Böse aber haßt alle Völker, einschließlich sein eigenes, welches es tatsächlich partiell tötet, und dabei handelt es sich doch weder um Neger noch um Kommunisten — merkwürdig.

Das Böse will auch noch Israel an die Gurgel, dem Staat, welcher immer wieder Krieg für den Frieden geführt hat und jetzt sich fürchtet und zuschlagen will und nicht darf, weil andere an der Reihe sind. „Judenhaß“ sagt der Inquisitor, „wie damals“. Kriegsindustrieverkäufer, arabische Rivalitäten, westliches Imperialgehabe — „Unsinn“, sagt der Inquisitor und kann es mit „Ahnungslosigkeit kaum erklären“. Daß der Protest weltweit ist und er damit die internationale Friedensbewegung diffamiert, merkt er nicht.

Für ihn ist es die „deutsche Jugend“, konsequente Ignoranz. So simpel denken auch die Amerikaner. Sie sind nur manchmal flexibler, denn sie erkennen das Böse mal in Hanoi, mal in Havanna, mal in Teheran, mal in Grenada, mal in Santiago de Chile, mal in Nicaragua — und schlagen zu. Das will auch der Große Inquisitor, denn mit dem Bösen verhandelt man nicht, weil es ja böse ist, will ja nicht.

Also spekuliert der Inquisitor über dessen „Entfernung von der Erdoberfläche“ und wieviel Geld das wohl kosten werde. Nicht weiter schlimm, Hans, das Geld kommt der Rüstungsindustrie und den „Wiederaufbau“-Konzernen zugute. Stelio Stamatakis, Bonn