Widerstandsläufe und Reifennummer

Beim Stuttgarter World-Meeting trat Grit Breuer in die Fußstapfen der Katrin Krabbe  ■ Aus Stuttgart K.-W. Götte

Thomas Springstein ist der entscheidende Mann an der Seite von Katrin Krabbe. Er ist ihr Trainer. Da Jos Hermans, der niederländische Manager von Katrin Krabbe den Marktwert seines Superstars mit 30.000 D-Mark für einen Hallenstart veranschlagt hat, verzichtete Fredy Schäfer, Veranstalter des Stuttgarter World-Meetings („wir wollen keinen Zirkus“), auf die dreifache Europameisterin und Thomas Springstein kam mit seiner zweiten, kaum minder erfolgreichen, aber weitaus preiswerteren Athletin nach Stuttgart.

Die noch 18jährige Grit Breuer startete bei ihrer Hallenpremiere nicht über ihre Spezialstrecke, die 400 Meter, sondern forderte selbstbewußt, quasi stellvertretend für ihre Clubkollegin Krabbe, die „Leichtathletin des Jahres 1990“, Merlene Ottey, über 200 Meter heraus. Grit Breuer sorgte dann auch beinahe für eine Sensation. Die in Italien lebende Jamaikanerin (22,70) mußte alles geben, um Grit Breuer (22,77) kurz vor dem Ziel noch abzufangen. „Ein phantastisches Einstiegsergebnis“, war Sprinstein hinterher regelrecht entzückt über den Auftritt der Abiturientin.

„Der enorme Kampfgeist“ ist es, der ihm am meisten an der mit 1,66 Meter relativ kleinen, aber sehr kräftigen (60 kg) Grit Breuer imponiert. „Es gibt keinen stilisierten Läufertyp. Nicht alle können schlank und langbeinig sein“, schmunzelt er.

Obwohl Grit Breuer erst am kommenden Samstag 19 Jahre alt wird, kann die aus Röbel am Müritzsee stammende Schülerin, ein typisches Produkt des ruhmreichen DDR- Sports, schon auf eine eindrucksvolle Erfolgsserie zurückblicken. Mit 15 lief sie bereits kaum glaubliche 52,59 über die kräftezehrende 400-Meter-Strecke.

Mit 16 wurde sie zweifache Juniorenweltmeisterin in den Staffeln und im Vorlauf war sie an der Bronzemedaille über 4*400 Meter in Seoul beteiligt. 1989 gewann sie den Europacup über 400 Meter und im vergangenen September ging ihr Stern als Doppeleuropameisterin (400 und 4*400 Meter) von Split endgültig auf. Bisher hatte Thomas Springstein in Sachen Erfolg auf strikte Arbeitsteilung zwischen Katrin Krabbe und Grit Breuer gesetzt. Doch die Topleistungen von Grit Breuer auf allen Strecken von 100 bis 400 Metern lassen das bald nicht mehr zu. „Sie wird in absehbarer Zeit Weltspitze über alle Sprintstrecken sein“, prophezeit denn auch ihr Trainer.

Das Ungewöhnliche am Erfolgstrainer Thomas Springstein ist sein Alter: 32. Als ein für DDR-Verhältnisse sehr junger Sprinttrainer begann er mit 26 Jahren in Neubrandenburg. Er gilt bei „seinen“ Sportlerinnen als harter Trainer. Seine Methoden sind einfach, aber wirksam. Bekannt sind seine kräfteraubenden „Widerstandsläufe“, die „Reifennummer“, die er auch im Höhentrainingslager von Davos gerne einsetzt. Dabei wird der Athletin ein Autoreifen an einer Leine an die Hüften gebunden, mit dem dann im Schlepptau, manchmal auch mit Bleiwesten, mehrfach hintereinander gesprintet werden muß. Springstein, der bisher erfolgreicher war, als alle seine Westkollegen, will langsam auch eine finanzielle Anerkennung für seine Arbeit. Bisher wird er mit 2.500 D-Mark brutto abgespeist: etwas mehr als einen Drittel dessen, was die vielen erfolglosen Westtrainer verdienen. „Nach der WM in Tokio im September muß eine positive Veränderung eintreten“, gibt Thomas Springstein dem DLV eine klare zeitliche Vorgabe. Ansonsten ist er entschlosssen, sich anderweitig umzusehen, zum Beispiel im Ausland.

Zumal die Trainingsbedingungen in Neubrandenburg, insbesondere im Winter (kleine Halle, Kraftraum kaum noch funktionstüchtig), äußerst schlecht sind. Acht der 16 Trainer sind entlassen worden. Die Sportartikelfirma Nike hat 1990 zwar 500.000 D-Mark investiert, doch damit werden hauptsächlich die acht Topathletinnen versorgt. Auch wird die Nachwuchssituation zunehmend bedenklich, weil aus der Kinder- und Jugendsportschule für Leichtathletik und Kanu bald ein normales Gymnasium werden soll; dann ohne Rücksicht auf den Sport.