Antikriegsgedicht mit Folgen

■ Unterschrift von Mitarbeitern des Nürnberger Klinikums soll Konsequenzen haben/ CSU-Staatssekretär polemisiert gegen rot-grüne Stadtregierung

Nürnberg (taz) — Bayerns CSU-Innenstaatssekretär spricht von „Friedensgefährdung durch unreflektierte Friedenssehnsucht“, die Nürnberger CSU-Stadratsfraktion verlangt „dienstrechtliche Konsequenzen“. Zwei Chefärzte warnen davor, aus einem Hospital eine „politische Spielwiese“ zu machen und alle Chefärzte legen zusammen, um eine Anzeige in den Nürnberger Tageszeitungen zu finanzieren, worin sie klarstellen, daß am Klinikum Nürnberg „niemandem medizinische Hilfe verweigert wurde und wird“. Was ist passiert?

217 Beschäftigte des Nürnberger Klinikums setzten einen Tag nach Ablauf des UNO-Ultimatums ihre Unterschrift unter ein Gedicht von Bertolt Brecht, das sich gegen Krieg als Mittel der Politik wendet. Da das Gedicht eventuell als Arbeitsverweigerung hätte ausgelegt werden können, fügten sie nachträglich noch eine Resolution hinzu. Darin wehrten sie sich, „verletzte Soldaten im Nürnberger Klinikum versorgen zu lassen“, denn damit würden sie „einen in den Mitteln ungerechtfertigten Angriffskrieg unterstützen“. Die Unterzeichner fühlten sich „erpreßt und gezwungen, eine brutale Militärmaschinerie zu unterstützen“, stellten aber unmißverständlich klar, daß sie „schon aus humanitären Gründen die Verletzten versorgen müssen“.

Innenstaatssekretär Beckstein, in zwei Oberbürgermeisterwahlen in Nürnberg kläglich gescheitert, witterte seine Chance, wieder einmal gegen die rot-grüne regierte Stadt zu poltern. Ihn interessierte nur der erste Teil des Schreibens. Die Klinikbeschäftigten würden sich weigern, Angehörige der alliierten Streitkräfte zu behandeln, tönte er. Er appellierte an den Oberbürgermeister, dieser solle jener „kleinen radikalen Minderheit eine deutliche Absage erteilen“. Der angesprochene SPD-OB Schönlein konterte. Beckstein habe „durch seine Profilierungssucht mit einer verkürzten Darstellung in der Presse dem Ruf Nürnbergs bundesweit geschadet“. Der ärztliche Direktor des Klinikums betonte noch einmal, daß schon am 25. Januar die Klinik-Personalversammlung einstimmig ihre „Hilfsbereitschaft gegenüber allen Menschen, die durch diesen Krieg Schaden erleiden“ bekundet hätten. Nürnbergs Gesundheitsreferent Bauer warf Beckstein vor, den „großen Knüppel geschwungen“ zu haben und Klinikpfleger Murawski von den Grünen wehrte sich gegen die „Kriminalisierung“ einer Meinungsäußerung.

Das will die CSU-Stadratsfraktion nicht auf sich sitzen lassen. Sie will jetzt die Verfasser des Schreibens ermitteln und dienstrechtliche Konsequenzen prüfen lassen. Unterstützung erhielt sie dabei von zwei Chefärzten, die „gegen eine permanente Verweigerungshaltung einer Minorität“ der Krankenhausbeschäftigten polemisierten und den Unterzeichnern einen „Berufswechsel“ empfahlen. Um ihr Anliegen zu untermauern, setzte die CSU-Fraktion das Gerücht in die Welt, Klinikchef Gallmeier trete nun nicht mehr zur Wahl als Klinikdirektor an. Eine glatte Bauchlandung, denn einen Tag später stellte Gallmeier das Gegenteil klar. bs