: Operiert wird oft bei Kerzenlicht
■ Ein Arzt, der als Freiwilliger in einem Bagdader Krankenhaus gearbeitet hat, über die Folgen des Krieges
„Ich habe das Gefühl, wir sind ins 14. Jahrhundert zurückgekehrt“, sagt Dr. Rizk Jaber Abu Kashef, ein palästinensischer Chirurg, der in den letzten beiden Wochen im Krankenhaus des 'Roten Halbmondes‘ in Bagdad gearbeitet hat. „Bei jedem Luftangriff werden die Generatoren abgeschaltet und jemand hält Ihnen dann beim Operieren eine Kerze oder Taschenlampe über die Hand. Sie können natürlich nicht einfach die Operation unterbrechen. Sie können dem Patienten schließlich nicht sagen, er soll schlafen, bis der Angriff vorbei ist.“
Dr. Abu Kashef berichtet der Presse während eines kurzen Aufenthaltes in Amman über seine Erfahrungen im Irak. Er plant, in den nächsten Tagen wieder nach Bagdad zurückzukehren, um dort zu arbeiten. Dr. Abu Kashef ist einer von dreißig jordanischen, palästinenensischen, tunesischen und algerischen Freiwilligen, die nach Kriegsbeginn auf dem Landweg in den Irak gereist sind.
Nach der Schilderung von Dr. Abu Kashef haben Stromausfälle, Benzin- und Wasserknappheit, der Mangel an Blutkonserven und an lebenswichtigen Antibiotika und Schmerzmitteln den Standard der medizinischen Versorgung im Irak auf ein unvorstellbares Niveau absinken lassen. Die Ärzte seien gezwungen, ihre Tätigkeit auf einfachste Erste-Hilfe-Maßnahmen zu beschränken und im Notfall zu schnellen und gänzlich unorthodoxen Behandlungsmethoden zu greifen. Für die Ärzte gebe es nicht einmal genug Wasser, um sich vor chirurgischen Eingriffen die Hände zu waschen, von einer Reinigung der OP's ganz zu schweigen. Die hygienischen Zustände in den Krankenhäusern verschlechterten sich und die Sterberate unter den Patienten in der Notaufnahme sei nicht nur infolge der Verletzungen, sondern auch von Infektionen im Krankenhaus von sechs auf zwanzig Prozent gestiegen, berichtet der Chirurg.
Da ist der Fall eines sechsjährigen Beduinenjungen, dessen Eltern und zehn Geschwister durch Bombenangriffe auf ihr Lager getötet wurden. Verwandte brachten den Jungen auf einem Pferd ins Krankenhaus. Er war durch Bombensplitter an der Ande verletzt worden. Als er im Krankenhaus ankam, war sein Bein bereits schwarz. Es mußte amputiert werden, ohne daß man dem Jungen schmerzstillende Mittel verabreichen konnte.
Dr. Kashef, der auch fünf andere medizinische Einrichtungen im Irak besucht hat, beschreibt die Bedingungen in den Krankenhäusern außerhalb von Bagdad als noch katastrophaler. Der Grund dafür liege vor allem im Mangel an Benzin (für den Betrieb von Notstromaggregaten). Sogar in der Hauptstadt fehle es mittlerweile am ALlernotwendigsten, etwa an Filmmaterial für die Röntgengeräte. „Das heißt, wenn jemand mit Bombensplittern im Körper gebracht wird, muß man in Ermangelung von Röntgenaufnahmen den Leib des Verletzten aufschneiden und nach dne Splittern suchen.“ Nora Boustany, Amman
(Washington Post Service)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen