: Raus aus der Nische
Rundfunk in Sachsen/ Nie wieder „außer Raum Dresden“ ■ Von Hannes Bahrmann
Berlin. Ausgeprägter Landesstolz und jahrzehntelange Vernachlässigung sind wohl die Hauptursachen dafür, daß die Diskussion um den künftigen Rundfunk im neuen Bundesland Sachsen leidenschaftlicher und engagierter als anderswo geführt wird. „Tal der Ahnungslosen“ hieß diese Region zu Zeiten der DDR, waren doch damals auf den Bildschirmen allenfalls die beiden realsozialistischen Programme zu empfangen, und auch auf den UKW-Frequenzen gab es nur Einheitskost.
Die Demütigung dieser Jahre sitzt tief, und sie schwingt unausgesprochen auch in allen medienpolitischen Diskussionen der vergangenen Monate mit. Die Sachsen sind sich einig: Nie wieder soll ARD mit „außer Raum Dresden“ übersetzt werden. Sie konnten es daher schier nicht erwarten, bis endlich ZDF und ARD in technisch guter Qualität zu empfangen waren. Hätte es länger gedauert, das Landesparlament hätte wohl dem Drängen der Bürger nachgegeben und gleich alle Sender aus Berlin abschalten müssen. Jetzt will Sachsen ganz vorn mitspielen. Neue Sender sollen her, neue Programme und jede Menge Frequenzen. Technische Einwände hören sich für sächsische Ohren eher nach Ausreden an, und so warnte Regierungssprecher Michael Kinze jüngst im Anschluß an eine Konferenz der Bundespost in Berlin vor jeder Form der Benachteiligung der Sachsen, „die jetzt Anspruch auf vollwertige Einbeziehung in das deutsche Rundfunksystem haben und nicht für die 40jährige DDR-Politik bestraft werden dürfen“.
Die neuen Verhältnisse begünstigen in Sachsen selbst hochfliegende Pläne. Der Freistaat ist groß und böte am Ende sogar die Möglichkeit, mit den Gebühreneinnahmen allein Rundfunk zu veranstalten. Doch Ministerpräsident Kurt Biedenkopf ist zu sehr Vollblutpolitiker, um nicht die Vorteile zu sehen, die ein starkes Sachsen innerhalb der nun wahrscheinlich werdenden Mehrländeranstalt genießt. Die Umsetzung der vorliegenden Pläne wird keine Angelegenheit von mehreren Jahren, nicht zuletzt dank starker Unterstützung durch Bayern, das Medienpolitiker, Experten, Gesetzestexte und vor allem Geld und Programme nach Sachsen schickte, um dort schnell zu helfen. Von Beginn an ist im neuen Freistaat alles schneller als anderswo gegangen. Sachsen-Radio mit seinen 800 Mitarbeitern (darunter viele Orchestermusiker) veranstaltet seit Oktober aus dem Funkhaus Leipzig schon drei Programme, mehr als jeder andere Landessender. Direktor Manfred Müller sieht sehr auf Eigenständigkeit und meint damit vor allem die Distanz zur früheren Zentrale in Berlin. Nicht einmal die Nachrichten kommen mehr von dort. Die Zusammenarbeit scheint gegen Null zu tendieren.
In Sachsen sind neben dem Landessender bislang noch die zentralen Hörfunkprogramme von Radio Aktuell (früher Radio DDR), Deutschlandsender DS-Kultur (früher Stimme der DDR) und dem Jugendradio DT 64 aus dem Funkhaus Berlin zu empfangen. Die Frequenzen des Berliner Rundfunks wurden frühzeitig schon übernommen. Seit 1. Juli 1990 sendet darauf das Studio Bautzen und der Sorbische Rundfunk in der Lausitzer Region.
In Dresden befindet sich das Fernsehstudio des Landessenders Sachsen. Hier hat Direktor Frank Erler 116 Mitarbeiter zur Verfügung, um mit ihnen und einem Studio von 250 Quadratmetern ein attraktives Regionalprogramm zu gestalten. Im März 1990 begann man von hier aus gemeinsam mit den anderen Landessendern, abwechselnd im Wochenrhythmus eine 60-Minuten-Sendung über das jeweilige Land auszustrahlen. Seit dem 2. Dezember wird ein 45minütiges Regionalprogramm außer samstags gesendet, wurde damit die Anpassung an das Vorabendprogramm der ARD hergestellt. Ein weiteres Produktionsbüro ist derzeit in Leipzig im Aufbau.
Auf Sachsen mit einer Bevölkerung von 4,9 Millionen Einwohnern entfallen 30,1 Prozent der Rundfunkgebühren des gesamten Beitrittsgebietes. Bei 1.440.000 gebührenpflichtigen Rundfunkteilnehmern und trotz einem kaum kalkulierbaren Anteil von Gebührenbefreiungen sowie Verweigerern blieben theoretisch mehrere Optionen, einschließlich der Schaffung eines eigenen „Sächsischen Rundfunks“. Gemeinsam mit Thüringen und Sachsen-Anhalt wird die Bildung einer Dreiländeranstalt „Mitteldeutscher Rundfunk“ immer wahrscheinlicher. dpa
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