Meine neuen alten Lehrer

■ Schüleralltag am Prenzelberg: Früher heraus zum 1. Mai — heute darf man nicht mal zur Golfkrieg-Demo/ Sonst hat sich kaum was verändert, meint der 14jährige David

Prenzlauer Berg. Meine Schule ist ein großes, häßliches dreistöckiges Gebäude. Sie befindet sich im Prenzlauer Berg an der Schönhauser Allee. Die Honni-Bilder sind verschwunden. Die Pionierorganisation »Ernst Thälmann« und die FDJ haben sich aufgelöst. Früher hieß es: »Achtung! Ich melde die Klasse 5a zum Unterricht bereit. Seid Bereit!...Immer bereit.« Heute sagen wir nur noch »Guten Morgen!« Der Stabü-Unterricht (Staatsbürgerkunde) wurde in Gesellschaftskunde umbenannt. Mein alter Stabü-Lehrer unterrichtet mich noch immer. Der Unterricht ist nicht viel interessanter geworden. Früher sind alle aus Zwang oder Überzeugung zur 1.-Mai-Parade gelatscht, heute dürfen wir nicht mal zu einer Demo gegen den Golfkrieg, weil unser Direktor Angst vor Bombenanschlägen hat. Im Unterricht reden wir auch nicht viel darüber. In Gesellschaftskunde, wo man eigentlich über solche Themen reden sollte, müssen wir uns mit Fragebögen und Statistik beschäftigen. Wozu ist dieses Fach da?

Früher haben sie einen auf SED gemacht, und heute geht's in Richtung CDU. Wenn ich vor der Wende mit 'ner West-Tüte zur Schule kam, sagte einer meiner Lehrer zu mir: »Die Tüte drehst Du sofort um!« Heute läuft er selber mit 'ner Aldi-Tüte rum. Er ist immer noch auf unserer Schule. Früher blieb ganz selten jemand sitzen, auch schlechtere Schüler wurden ‘mitgezogen‚, selbst wenn sie in Mathe oder Deutsch eine 5 hatten. Heute zeigt der Lehrer stolz auf die neuen Schulbücher und kündigt uns an, daß jetzt alles viel härter für uns wird. Dann verteilt er Fünfen und schmeißt potentielle Störenfriede aus dem Klassenzimer raus. Heute laufen viele mit Doc Martens und Bomberjacken rum. Früher krochen wir zur Verteidigung des Vaterlandes beim Pioniermanöver auch mal durch die Jauche. Neulich schrieb einer meinen Namen an die Wand und bezeichnete mich als »linke Sau«. Ein paar Tage später verlangte der Klassenlehrer, daß ich das abwischen solle: Das finde ich eine Schweinerei, weil ich daß gar nicht geschrieben habe. Im vergangenen Jahr haben wir Vorschläge gemacht, was wir verbessern können. Zum Beispiel: Ein Verkaufsstand für Cola, Süßigkeiten und Comics. Die Lehrer taten nichts, wir taten auch nichts. Und so verlief alles im Sande. David, 14 Jahre,

in Dresden geboren, seit neun Jahren Ost-Berlin