Protest erst wieder nach den Ferien

■ Ostberliner SchülerInnen diskutieren über den Golfkrieg/ Welche Ursachen stecken hinter dem Konflikt im Nahen Osten?/ Erlahmendes Interesse/ Jeder hat eigene Meinung gebildet, doch Wissen über Hintergründe fehlt

Marzahn. An der Eingangstür zur Erweiterten Oberschule »Albert Einstein« fordert ein Plakat großformatig: »Kein Krieg am Golf!«. Etwa 150 Menschen haben sich im ‘Mehrzweckraum‚ der Schule vor einem Podium versammelt. Diejenigen Schülerinnen und Schüler, die keinen Platz ergattern konnten, hocken auf dem Linoleumboden oder drängeln sich an der Tür.

Andrea Seecker aus der 12. Klasse eröffnet das Forum. Eins von vieren, die in der vergangen Woche an der EOS zum »Projekttag« gegen den Golfkrieg stattfinden. Eine Etage höher, dort wurde der gesamte Schulflur zu einem großen Diskussionssaal umfunktioniert, geht es um »Ausgrenzungsbereitschaft in der Gesellschaft«, um Randgruppen. Im Schulklub und im Kunsterziehungsraum wird dagegen über Völkerrecht sowie Religionsgeschichte gesprochen.

Derweil begrüßt Andrea Seecker im Mehrzweckraum die Gäste zum Forum über den »Nahen Osten in eigenem Erleben«. Unter ihnen ist auch Dr. Merkel, der letzte Botschafter der DDR in Kuwait, der erst durch die persönliche Initiative Willi Brandts im Dezember aus Bagdad zurückkehren konnte. Dazu noch, als einzige Politikerin, Michaela Schukowski von der Berliner PDS. »Das wichtigste in dieser Zeit ist, daß man sich miteinander austauscht, miteinander redet, sagt, was man denkt, um so gegenseitige Ängste abzubauen«, säuselt diese zur Begrüßung.

Im folgenden geht es um Historisches und um Landeskundliches. Und eins wird den Anwesenden bald klar. Will man Antworten auf die vielen Fragen bekommen die der Krieg am Golf stellt, ob er vermeidbar war, wie man ihn beenden kann, und ob damit dann alle Probleme beseitigt sind, dann muß man wissen und klären, welche Ursachen hinter dem Krieg stehen.

Es ist ein heißes Thema, und heiß wird es auch im Raum, die Luft immer dünner. Ein Fenster wird geöffnet. Frischen Wind in die Runde bringt das aber nicht. Ein richtiger Meinungsaustausch kommt nicht zustande, es ist mehr eine »Ausfragestunde«. Denn seine Meinung zum Thema hat sich längst jeder gebildet. Trotzdem ist zu vieles noch unklar, fehlt ganz einfach das Wissen um jegliche Hintergründe. Zudem wirken die Schüler diskussionsmüde, ja -unlustig.

Für viele ist dieses Forum wie ein Essen, das zu oft durchgekaut wurde und daher fade ist. »Es ist ja nicht so, daß der Golfkrieg mich nicht mehr berührt. Nur eben nicht mehr so extrem wie am Anfang, als ich noch zu jeder Demo hin bin. Der Krieg geht weiter, jetzt beginnen bald die Bodenangriffe. Ja, aber irgendwie habe ich das alles etwas beiseite geschoben«, sagt Liane Barthel aus der 11. Klasse. Mit dieser Meinung steht sie nicht alleine da, viele denken so.

»Weißt du, ich war eben im Kunsterziehungsraum. Am Anfang wurde über die Religionsgeschichte des Juden- und Christentums erzählt. Echt interessant. Aber dann wieder Golfkrieg. In jeder Stunde kommen wir auf das Thema. Ich kann's einfach nicht mehr hören. Vor allem, wenn ein paar Idioten immer wieder total weltfremd daherreden, alles aus dem Fernsehen nacherzählen und den Krieg sogar glorifizieren. Tatsächlich, solche gibt's«, erklärt Susanne Jakob aus der 12. Klasse.

Zu Anfang fast alle auf den Friedensdemos

Am Anfang gingen sie fast alle noch zu den Friedensdemos. Zu der gestatteten am ersten Kriegstag. Dann zu den ungestattenen. Aber auf denen waren dann schon bedeutend weniger Schüler. Die meisten hatten Angst vor den eingetragenen Fehlstunden. Und jetzt kann man erst recht diejenigen fast an den Händen abzählen, die nachmittags zur Demo gehen oder zu den Mahnwachen am Brandenburger Tor, in der Gethsemanekirche oder in der Gedächtniskirche. Selbstgestartete Großaktionen gibt es schon gar nicht mehr, von diesen »Protesttagen« mal abgesehen, die in fast allen Berliner Schulen durchgeführt wurden.

Jetzt haben die SchülerInnern in Ost-Berlin Winterferien. Pause auch für Aktionen gegen den Golfkrieg, obwohl doch soviel Zeit wäre? »Ja schon, aber ich muß arbeiten gehen. Ich bekomme keinerlei BAFöG-Unterstützung. Und irgendwie muß ich ja auch leben, habe ich meine Interessen und Ansprüche«, so Susanne Jakob. »Vielleicht wieder nach den Ferien!«

Das Forum im Mehrzweckraum geht seinem Ende entgegen. Andrea Seecker stellt die letzte Frage an Dr. Merkel: »Wir sind jetzt politisch und geschichtlich total vollgestopft. Aber wie lebt man eigentlich in Kuwait? Was essen dort die Menschen?« Katrin Scholz