Asbest-Semester an der Freien Universität

■ »Die Kommunikation ist abgebrochen«/ StudentInnen ziehen negative Bilanz des auslaufenden Semesters

Dahlem. Seit zwei Monaten beherbergt das Klassenzimmer der 7b in der Zehlendorfer Alfred-Wegener- Schule ungewöhnliche Gäste. In dem mit Teenie-Postern geschmückten Raum versammeln sich jeden Donnerstag nachmittag zwanzig GermanistikstudentInnen der FU, um zwei Stunden lang etwas über »Südamerika im Spiegel deutscher Literatur« zu erfahren. Sie sind »Ausgelagerte«, Opfer des Asbests, das Ende letzten Jahres in den FU-Gebäuden »Rost«- und »Silber«-Laube gefunden wurde und nach Studentenprotesten zu deren Schließung führte.

»Für uns ist das alles ganz schön bescheuert gelaufen«, kritisiert die Germanistikstudentin Gabi Baur im Rückblick, »hier herrschte ein totales Kommunikations-Chaos, und immer noch sind wir vom Rest der Uni abgeschnitten. Zu Anfang wußte niemand, was los ist. Dann wurden wir in alle Himmelsrichtungen in Ersatzräume ausgelagert — dadurch ist der Kontakt innerhalb der Uni fast zum Erliegen gekommen.« Gerade für Erstsemester »ist der Informationsfluß sehr stark eingeschränkt. Man trifft die anderen Leute aus dem Fachbereich nicht mehr so einfach zwischen den Kursen.«

Das auslaufende Wintersemester ist für die meisten der 20.000 betroffenen FU-StudentInnen zum »Asbest-Semster« geworden, das ihnen neben erheblichen Störungen der inneruniversitären Kommunikation vor allem Ärger mit dem Bafög-Amt beschafft, da viele StudentInnen ihre Semesterziele nur mit Mühe oder nicht vollständig erreichen konnten. Die meisten DozentInnen und ProfessorInnen gehen zwar auf die Situation ein, indem Abgabetermine von Hausarbeiten verschoben und ausgefallene Veranstaltungen nachgeholt werden.

Auch die Prüfungen laufen normal weiter. Aber durch zeitliche Änderungen einiger Lehrveranstaltungen und besonders durch die Schließung von Fachbereichsbibliotheken verfehlen manche ihre Studienziele. Viele StudentInnen haben daher in diesem Semester ihr Studium auf Sparflamme laufen lassen — mit der Perspektive, im Sommersemester die Ausfälle nachholen zu müssen. Hinzu kommen auch deutliche Einbußen im hochschulpolitischen Bereich: »Durch den mangelhaften Austausch der Studis untereinander kommt es zu keiner Reaktion auf die ganzen Sachen, die hier schieflaufen«, beklagt sich Thommy Claudius, Student des Psychologischen Instituts (PI) und studentischer Vertreter in der Ende November gegründeten Asbest-Kommission der FU. Seiner Ansicht nach wären gerade bei der Auslagerung des PI in das Uni-Gebäude in Lankwitz Studentenproteste erforderlich gewesen: »In Lankwitz besteht ebenfalls Asbestverdacht. Die Räume müssen doch erstmal genau untersucht werden, bevor wir dort studieren.« Sein Aufruf, die Auslagerung zu boykottieren, verhallte jedoch fast ungehört: »Die Studis sind momentan einfach nicht erreichbar.«

Deutliches Zeichen für den mangelnden Informationsaustausch war auch die Ende Januar veranstaltete Asbest-Information im Audimax der FU: Ganze 40 Leute waren der an alle StudentInnen gerichteten Einladung gefolgt. Kommunikationsprobleme und Ärger über das Asbest-Semester machen nicht nur den StudentInnen zu schaffen, auch die ProfessorInnen und MitarbeiterInnen ziehen eine überwiegend negative Bilanz: »Hier weiß ja niemand, was los ist, und wie es weiter gehen soll«, ärgert sich Arthur Imhof, Professor der Geschichtswissenschaften, »zwischen den Professoren ist die Kommunikation abgebrochen, der Kontakt mit der ausgelagerten Fachbereichsverwaltung ist minimal, und die Studenten sieht man auch sehr viel seltener. Soziale Bindungen kann man da nur noch zu einem sehr kleinen Teil aufrechterhalten.«

Ursula Ernst, Bibliothekarin der Germanisten und Mitglied des Personalrats, sieht ein Problem in der fehlenden Regelmäßigkeit des Austausches unter den KollegInnen: »Wir versuchen zwar, telefonisch Kontakt zu halten und uns regelmäßig zu treffen, aber es fehlt eine kontinuierliche Verbindung.«

Die MitarbeiterInnen der Verwaltung, des Prüfungsbüros und der Bibliothek sind notdürftig in verschiedenen Ersatzräumen untergebracht worden — mit der Folge, »daß sich viele KollegInnen einsam und abgeschnitten fühlen«. Wie es weitergeht mit den beiden »Asbest-Lauben«, ist in den Augen vieler Betroffener noch offen. Zwar hat Ex-FU-Präsident Heckelmann die notdürftig gesicherte Silberlaube Mitte Januar wieder freigegeben, und auch die »Zwischensicherungsmaßnahmen« an der Rostlaube sind am 18. Februar abgeschlossen — und wenn die letzten Asbestmessungen in der Rostlaube zufriedenstellend ausfallen, können die beiden Gebäude im Sommersemester wieder genutzt werden — aber das nächste Chaos scheint vorprogrammiert. »In den nächsten drei Jahren werden die Sanierungsarbeiten erst richtig starten«, kündigte Heckelmann an, »während der Sanierung wird ein Ersatzbau errichtet werden, auf den dann abwechselnd ausgewichen wird.« Eine Erklärung, die bei den Betroffenen Zweifel auslöst: »Nach allem, was war, glaubt man doch keinem mehr«, drückt Professor Imhof seine Sorge aus, »ich bin da gar nicht optimistisch.« Und Germanistikstudentin Gabi Baur befürchtet: »Das ist doch Massenberuhigung. Wir werden ja sehen, wie's im nächsten Semester wirklich abläuft...« Lars v. Törne