Auf Zeitungsseiten kann man entscheidende Dinge schreiben

Die Privatpresse hat in Westafrika vielfältige Hindernisse zu überwinden: Schikanen der Regierungsbehörden, Finanzierungsprobleme und Analphabetismus/ Doch ist sie oftmals das einzige Forum, wo über Willkürherrschaft, Korruption und Demokratie diskutiert werden kann  ■ Von Bettina Kaps

„Elend“. „Tragödie“. „Niedergang“ — andere Schlagwörter fallen den französischen Kommentatoren nicht mehr ein, wenn sie über Afrika berichten. Für die Wirtschaft mag diese Bewertung zutreffen. Jedoch übersehen die Schwarzmaler, daß die frankophonen Länder von einer Aufbruchstimmung erfaßt worden sind, die einen bedeutenden Fortschritt bewirkt hat: In Westafrika hat sich eine unabhängige Presse entwickelt. Wo vorher Regierungsblätter ein Monopol besaßen, herrscht heute bunte und kritische Vielfalt.

Vorreiter dieser Entwicklung war das Wochenblatt 'La Gazette du Golfe‘ in Benin. Der Journalist Ismael Soumanoul, der im staatlichen Rundfunk gearbeitet hatte, kämpfte zwei Jahre lang um die Erlaubnis zur Gründung der ersten unabhängigen Zeitung des Landes. „1987 erhielt ich endlich die Genehmigung, wahrscheinlich nur, weil die Behörden ihre Ruhe haben wollten“, berichtete Soumanou, auf einer Tagung zum Thema Die frankophone Presse in Afrika auf dem Weg zum Pluralismus, die das Pariser Panos-Institut zusammen mit der Unesco vor kurzem veranstaltete.

Drei Monate nach der ersten Ausgabe drohte der Präsident, General Mahtieu Kérékou, Soumanou erstmals mit einem Prozeß wegen eines Artikels über Unterschlagungen. Wenig später erschienen Soldaten mit Kalaschnikows in der Redaktion und beschlagnahmten eine gesamte Ausgabe. Darin hatte die 'Gazette‘ eine Meinungsumfrage veröffentlicht, die der Regierung jegliche Glaubwürdigkeit absprach. Ein Erscheinungsverbot wurde nach rotesten des In- und Auslandes wieder aufgehoben. „Die Leute unterstützten uns, weil wir gegen die Diktatur kämpften“, sagt Soumanou.

Die 'Gazette du Golfe‘ trug dazu bei, daß es in Benin zu einem friedlichen Staatsstreich kam, der das Ende der Diktatur einleitete. „Seit der Nationalkonferenz vom März 1990 wird keinerlei Zensur mehr ausgeübt“, betont Soumanou. „In Sachen Pressefreiheit besteht heute zwischen Washington, Paris und Cotonou kein Unterschied mehr.“

Die Beniner stürzten sich auf die neue Freiheit: Im vergangenen Jahr wurden 40 Zeitungen gegründet, von denen heute allerdings höchstens noch zehn existieren. Auch die 'Gazette du Golfe‘ kämpft mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die oft sogar dazu führen, daß eine ganze Ausgabe ausfallen muß.

Pluralismus-Debatte in den Kolumnen der Tagesblätter

In Mali streiten neuerdings ebenfalls private Zeitungen für Transparenz und Pluralismus. Seit 22 Jahren regiert dort General Moussa Traore. Bis 1989 gab es in Mali nur ein politisches Blatt das Regierungsorgan 'L'Essor — La voix du Peuple‘ (Aufschwung — Die Stimme des Volkes). Trotz seines Monopols und der staatlichen gesicherten Finanzierung konnte der 'Essor‘ seine Auflage nie über 3.500 Exemplare steigern.

Heute tragen die Kleinhändler ein Dutzend unabhängiger Zeitungen durch die Straßen. Ausgelöst wurde diese Entwicklung von 'Les Echos‘. Das Blatt, das alle 14 Tage erscheint, wurde 1989 mit gerade 2.000 Exemplaren auf den Markt gebracht; inzwischen hat es eine Auflage von 25.000 erreicht. Kein Wunder, daß 'Les Echos‘ die von oben gelenkte 'Stimme des Volkes‘ derart überflügeln konnte: Das Blatt läßt die Leser in seinen Spalten über Pluralismus und Demokratie debattieren.

In Niger schreibt 'Haske‘ (Klarheit) über Themen, an die sich zuvor kein anderes Blatt gewagt hatte. Die 10.000 Exemplare der ersten Ausgabe vom Mai 1990 waren sofort vergriffen. 'Haske‘ wird aus finanziellen Gründen in Benin gedruckt. Die 'Gazette du Golfe‘ half bei der Produktion der ersten beiden Nummern der unabhängigen nigerischen Zeitung.

Die private Presse ist das einzige Forum, in dem über Korruption und Willkürherrschaft, über Demokratie und Pluralismus debattiert wird. Herausgeber und Journalisten sind jedoch mit so vielen Hindernissen konfrontiert, daß die Existenz der einzelnen Blätter auf äußerst wackeligen Füßen steht.

„Unser größtes Problem ist es, Informationen zu bekommen“, sagt der Herausgeber des malischen 'Les Echos‘. Alpha Oumar Konare. Keine private Zeitung im Land kann sich das Abonnement einer großen Nachrichtenagentur leisten. Die Behörden verweigern den Journalisten jedoch stets alle Auskünfte. Offenbar in der Hoffnung, „daß wir den fatalen Fehler machen“, meint Konare. „Wenn uns die offiziellen Stellen abweisen, was bleibt uns dann übrig? Es entsteht die Gefahr, daß wir spekulieren oder Gerüchte übernehmen.“ Ein Recht auf Irrtum gebe es jedoch nicht. Bei der ersten Fehlinformation riskiere eine private Zeitung Anklage wegen Verleumdung.

Der malischen Regierung ist die Entstehung einer unabhängigen Presselandschaft offensichtlich unbequem. Am 28. Dezember unternahm der Innenminister einen ersten Versuch, die Presse zu knebeln: In einem Brief wurden alle Herausgeber aufgefordert, ihre Publikationen 48 Stunden vor dem Verkauf abzuliefern. Das geltende Gesetz verlangt zwar auch die Vorlage der Zeitungen, nennt jedoch keine Frist. „Bislang konnten wir also gleich nach der Abgabe mit dem Verkauf beginnen“, sagt Chéibane Coulibaly. Herausgeber von 'Cauris‘, der jüngsten Zeitschrift des Landes.

Die malischen Journalisten lassen sich durch einen ministeriellen Brief nicht einschüchtern. Am 29. Dezember erklärten sie in einer gemeinsamen Antwort, sie würden die Frist nicht akzeptieren. Bislang erscheinen die Zeitungen weiterhin unzensiert. Doch die Lage ist gespannt: Nach den Massenunruhen in Bamako vom 21. und 22. Januar, die mindestens sechs Tote und 30 Verletzte gefordert haben, stellte die Regierung erneut die unabhängige Presse an den Pranger: Sie habe das Feuer geschürt, lautete die Warnung. „Wir rechnen mit weiteren Einschüchterungsversuchen“, sagt Chéibane Coulibaly. „Doch eins ist sicher: Wir werden uns der Kraftprobe stellen. Solange wir können, werden wir erscheinen.“

Rigide Preise vom französischen Medienriesen Hersant

Das Beispiel Senegals beweist, daß der Presse selbst dann Beschränkung droht, wenn die Meinungsfreiheit gesetzlich verankert ist: Zensur durch wirtschatliche Zwänge. Senegal ist das einzige frankophone Land in Westafrika, das seit zehn Jahren Oppositionsparteien und unabhängige oder oppositionelle Zeitungen erlaubt.

„Die besten Gesetze über Meinungsfreiheit nutzen wenig, wenn man keine Mittel zur Produktion und Verteilung hat“, sagt Babacar Touré. Herausgeber der Wochenzeitung 'Süd-Hebdo‘. Für Zeitungen gibt es nur eine große Druckerei im Land und die gehört dem französischen Medienkonzern Hersant. „Hersant setzt Preise wie er will. Es ist jede Woche ein Wunder, wenn es uns gelingt, die Druckkosten zu bestreiten“, sagt Touré. Um Geld zu sparen, mußte 'Süd-Hebdo‘ ihren Umfang von zwölf auf acht Seiten verringern. Einmal weigerte sich die Druckerei, eine Nummer von 'Sopi‘ zu drucken, dem Parteiblatt der Opposition, weil darin ein wichtiger Politiker angegriffen wurde.

Ohne Werbung könnte sich in Europa keine Zeitung finanzieren. Während die staatlichen Medien in Afrika mit Anzeigen nationaler Firmen versorgt werden, muß die unabhängige Presse fast ohne Annoncen auskommen: Privatunternehmer wollen oder können es sich nicht leisten, mit einem kritischen Blatt in Verbindung gebracht zu werden — nicht selten drohen einer solchen Firma sonst bürokratische Schikanen. Hinzu kommt, daß afrikanische Geschäftsleute der Werbung noch keine große Bedeutung zumessen.

Ein weiteres Problem ist die Verteilung. In Mali existiert dafür kein System; die Zeitungsmacher müssen selbst sehen, wie sie ihre Publikationen unter die Leute bringen. In Senegal ist neben dem Druck auch die Verteilung monopolisiert und in französischer Hand. Die Agentur berechnet bis zu 40 Prozent des Verkaufspreises, wodurch sich die Verdienstspanne für die Herausgeber verringert. Da es wirtschaftlich geradezu unsinnig ist, in Westafrika eine Zeitung zu machen, wird es wohl noch lange dauern, bis eine unabhängige Tageszeitung erscheinen kann. Die hohe Analphabetenrate ist ein weiteres Hindernis für die Presse: Über 80 Prozent der malischen Bevölkerung und 68 Prozent der Senegalesen können nicht lesen und schreiben. Um so wichtiger ist die Rolle von Hörfunk und Fernsehen. Bei den audiovisuellen Medien ist ein Ende des staatlichen Monopols bislang jedoch allenfalls in Benin abzusehen: Die Regierung erwägt, private Sender zuzulassen.