Lohnzuwachssteuer veranlaßt Polen zu streiken

Regierung gerät immer mehr unter Druck, die Lohnbremse zu lösen/ In Danzig ging ein höchst seltsamer Streik zu Ende  ■ Aus Warschau Klaus Bachmann

Der Streik, der vor kurzem in der Danziger Werft zu Ende ging, war vermutlich der seltsamste der Werftgeschichte. „Es wurde nicht gestreikt, um mehr Geld zu bekommen“, schrieb die 'Gazeta Wyborcza‘, sondern damit andere weniger bekommen.“ Die anderen, das sind die Beschäftigten jener privaten Kapitalgesellschaften, die innerhalb der Werft für die Werft arbeiten und dabei oft für die gleiche Arbeit das drei- oder vierfache dessen verdienen, was die bei der Staatswerft Angestellten nach Hause bringen.

49 solcher Kapitalgesellschaften zählte letztes Jahr der Oberste Rechnungshof. Diese unterliegen als Privatbetriebe nicht der Lohnzuwachssteuer und können deshalb ihre Angestellten auch besser bezahlen. Die staatliche Werft, die vor zwei Monaten in eine Aktiengesellschaft verwandelt wurde, findet unterdessen keine ArbeitnehmerInnen, weil die Löhne zu niedrig sind, die sie bezahlen darf. Somit muß die Werft auf die privaten Gesellschaften als SubunternehmerInnen zurückgreifen.

Erfunden wurde die inzwischen bei allen Gewerkschaften äußerst verhaßte Steuer vor anderthalb Jahren von Finanzminister Balcerowicz, der sie zur Bekämpfung von Lohnsteigerungen einsetzte: Die Steuer wird von der Lohnsumme der Betriebe erhoben. Überschreitet ein Betrieb seine Vorgaben nur um wenige Prozent, so sind gleich mehrere hundert Prozent Strafsteuer fällig. Den Direktoren ist ein Nachgeben gegenüber den Gewerkschaften damit nur noch um den Preis des Konkurses möglich. Damit ist es in der Tat gelungen, die Hyperinflation des Jahres 1989 erfolgreich zu bekämpfen. Umstrukturierungen in der Wirtschaft sind damit zugleich aber erschwert worden.

Die Steuer, von der Joint-ventures und Privatbetriebe ausgenommen sind, behandelt alle Staatsunternehmen gleich, egal, ob sie rentabel wirtschaften oder dem Konkurs entgegenwanken. Rentable Betriebe können so häufig selbst in lukrativen Bereichen nicht weiter investieren, weil durch die Lohnbremse zusätzliche Arbeitskräfte ausbleiben. Insbesondere Funktionäre der ehemals kommunistischen OPZZ-Gewerkschaften fordern daher eine Abschaffung der Lohnzuwachssteuer, da sie die Staatswirtschaft massiv benachteilige. Nicht die Löhne seien Schuld an der Inflation, sondern die monopolistische Wirtschaftsstruktur. Inzwischen ist die Regierung unter massiven Druck geraten, seit die Gewerkschaften Unterstützung von Präsident Lech Walesa erhalten haben und im ganzen Land immer wieder für die Abschaffung der Steuer gestreikt wird. Walesa konferierte Anfang der Woche mit Finanzminister Balcerowicz.

Der Kompromiß, der dabei herauskam, liegt ganz auf der Linie von Solidarność: Schrittweise will man von der verhaßten Steuer wegkommen. Privatisierte Staatsbetriebe sollen künftig von der Lohnzuwachssteuer ausgenommen sein und zusätzlich dazu sollen Lohnzahlungen, die in Aktien und Aktienoptionen ausbezahlt werden, nicht der Steuer unterliegen. Da diese aber frei handelbar sind, wird sich der Geldumlauf dadurch weiter erhöhen. Polen droht dann wiederum eine höhere Inflationsrate, vor der Experten des Internationalen Währungsfonds bereits gewarnt haben. Laut 'Gazeta Wyborcza‘ erwägt man dort bereits Sanktionen bei der weiteren Kreditvergabe, sollte es nicht gelungen, die Inflation auf das mit dem IWF vereinbarte Niveau zu drücken.