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Warschauer Pakt am Ende

■ Gorbatschow versucht mit seinem Vorschlag zur Auflösung die Initiative zu behalten KOMMENTAR

Vielleicht umweht uns das letzte Mal der „Hauch der Geschichte“ nach diesen Jahren der revolutionären Wandlungen in Europa, die durch die Perestroika in der Sowjetunion ausgelöst wurden. Nach dem Fall der stalinistischen Diktaturen, nach dem Rückzug der Sowjetunion aus Ostmitteleuropa, nach dem Fall der Mauer wird nun auch die militärische Struktur des Warschauer Paktes aufgelöst. Wenn dies heute schon wie eine Alltagsmeldung klingt, dann zeigt dies unsererseits nur den Grad der Gewöhnung an die neuen Verhältnisse.

Bei näherem Besehen ist nur noch überraschend, daß sich Gorbatschow zuletzt bemühen muß, die Initiative bei der Auflösung des Paktes an sich zu reißen. Sein Vorschlag, ab 25. Februar über die Modalitäten für die Auflösung des Paktes am 1. April zu verhandeln, kam diesbezüglichen Beschlüssen der Konferenz der Staatspräsidenten Ungarns, der CSFR und Polens zuvor, die sich am Freitag in Ungarn treffen werden. Und da auch Bulgarien und Rumänien sich letzte Woche für die Auflösung des Paktes ausgesprochen hatten, ist die schon im Herbst sichtbare sowjetische Taktik, Entscheidungen in bezug auf das militärische Bündnis zu verschleppen, unhaltbar geworden.

Überdies scheint der politische Nutzen aus dem Vorschlag Gorbatschows für die Sowjetunion nur noch gering zu werden. Es besteht ja kein Zweifel daran, daß der Eintritt Ungarns in die „Nordatlantische Versammlung“ der Nato und die Versuche Havels, sich angesichts der Golfkrise und den Ereignissen in den baltischen Ländern dem westlichen Pakt anzunähern, schon jetzt über die von diesen Ländern bisher favorisierte Etablierung eines „kollektiven Sicherheitssystems“ in Europa hinaus weist. Die auch hierzulande von vielen begrüßte Position Ungarns und der CSFR, in Europa ein kollektives Sicherheitssystem zu etablieren, das der Sowjetunion die Möglichkeit gibt, vom Warschauer Pakt ohne Gesichtsverlust Abschied zu nehmen, hat sich vielleicht sogar schon jetzt als eine taktische Position für den Übergang erwiesen. Zumindest Ungarn, Polen und die CSFR wollen jetzt so schnell wie möglich die Voraussetzungen für eine weitere Annäherung an die Europäische Gemeinschaft schaffen. Die früher spürbare Rücksichtnahme auf Gorbatschow und die Sowjetunion wird somit fallengelassen. Die Sowjetunion ist nicht mehr in der Lage, die Bedingungen für die Auflösung des Paktes zu diktieren. Ihr bleibt nur noch, günstige Bedingungen für die „Abwicklung“ des Rückzugs der Roten Armee aus Polen, der CSFR und auch noch aus Ungarn zu erreichen. Gorbatschows Vorschlag ist zu spät gekommen. Erich Rathfelder

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