Oh Herr, schmeiß Hirn vom Himmel!

■ Bonn und die Finanzierung der deutschen Einheit GASTKOMMENTAR

Die deutsche Einheit droht im Streit um ihre Finanzierung ihre historische Würde zu verlieren“, schreibt Michael Birnbaum in der 'Süddeutschen‘. Ach was, lieber Kollege — Abstrakta haben würdemäßig gar nichts einzubüßen. An die Würde geht es höchstens Menschen, allerdings nur, sofern sie auf solcherart Luxus überhaupt noch Wert legen. Die Politik der offenen Brieftasche, die unsere Bonner Onkels an allen Krisenherden dieser Welt regelmäßig zelebrieren, verzichtet jedenfalls von vornherein auf jegliche Haltungsästhetik — Ablaßzahlungen bedürfen keiner Würde. Und über die Höhe der Geschenke haben sich bekanntlich die Beschenkten am wenigsten zu beklagen. Das wäre nun wahrhaft würdelos.

Also bitte: Auch ostwärts ziehen unsere Kassenhalter regelmäßig das Scheckbuch. Etwa 100 Milliarden Mark hält der Bundeshaushalt 1991 für die Würde der deutschen Einheit bereit, die sicherlich irgendwann auch einmal im Osten Deutschlands ankommen werden. Bis dahin gibt es allein im Februar sage und schreibe fast 9 Milliarden DM Cash aus dem Einheitsfonds — „zur Sicherung der Liquidität der neuen Länder und Kommunen“. Danach hofft man auf Steuereinnahmen im Osten selbst. Wie die aussehen werden, weiß indes heute noch niemand zu sagen. Klar ist nur: Der Bund will sich künftig raushalten. Nun sind die Länder an der Reihe.

Na bitte! Daß mit den ewigen Nachbesserungen am finanziellen Flickwerk deutsche Einheit keine langfristigen Sicherungen gewährleistet seien, ist ein eher würdeloser Einwand. Daß Bonner Geizkragen und Dauerwahlkämpfer die Chancen der deutschen Einheit mit Finanzierungsstreitereien verspielen, hieße humorlos zu argumentieren. Und daß die Bonner Propagandisten dem bedingungslosen „Ja“ zur Einheit heute ein „Aber“ hinterherschieben, wenn es um den banalen Alltag nach der Eheschließung geht, sollten wir ihnen nachsehen. Denn schließlich leben wir ja, gottlob, in einem föderativ verfaßten System, in dem nicht alles Gute von oben kommen kann. Wo kämen wir denn hin, wenn jetzt der Bund die Suppe auslöffelte, die er den Ländern eingebrockt hat?

Schließlich haben auch die altdeutschen Länder verdient an der deutschen Einigung — beispielsweise via Umsatzsteuer. Recht und billig also nur, wenn sie dieses Geldaufkommen zugunsten der neuen Länder neu verteilen — die 35 Prozent jedenfalls, die ihnen der Bund übrigläßt. Ungerechtigkeit oder verantwortungsvolle Finanzpolitik? Unverfrorenheit oder gerechte Strafe für die nörglerische Intransigenz manch sozialdemokratisch regierten Bundeslandes?

Alles falsch. In Wirklichkeit handelt es sich beim Schauspiel, das jetzt seit Monaten unter dem verheißungsvollen Titel „Wer soll das bezahlen“ in Bonn aufgeführt wird, während die Ex-DDR ihrem Untergang entgegenstolpert, keineswegs um die Kunstgattung „Eiertanz“, sondern um ein praktisches Lehrstück zugunsten unserer neuen deutschen Mitbürger. Wer Kanzler Kohl als Honecker- Ersatz gewählt und gehofft hat, der würde mit guter Westkohle die beschützenden Werkstätten der DDR weiterfinanzieren, muß jetzt umlernen: Für den Krisenfall ist nicht mehr der Zentralstaat zuständig, sondern die frei und demokratisch gewählte ostdeutsche Landesregierung. Auch Föderalismus will gelernt sein, und wenn's sein muß, liebe Ossis, auf die harte Tour. So werden im Westen ein paar Autobahnabschnitte weniger gebaut, und der Unmut im Osten richtet sich dahin, wo er hingehört: gegen die selbstgewählten Provinzialfürsten in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt. Und nicht gegen unsere Bundesregierung, die Freiheit und Föderalismus versprochen hat — nicht aber die vernünftige Gestaltung der Zukunft der neuen Ostprovinzen.

Einige der ostdeutschen Länderchefs haben bereits gemerkt, daß sie die Deppen der Nation werden sollen. Bei der zu befürchtenden Massenrandale unter den friedlichen Revolutionären aus der DDR werden sie hoffentlich an der Spitze marschieren — allein schon der richtigen Parolen wegen, mit denen sich die Deutschen bekanntlich so schwer tun. Im Zweifelsfall empfiehlt sich die Allzweckformel: „Oh Herr, schmeiß Hirn vom Himmel“. Weniger als das wird nämlich nichts mehr nützen. Cora Stephan

Die Autorin ist freie Journalistin in Frankfurt