Mafiosi raus, Ex-Brigadisten rein

Erneut skandalöse Entscheidung von Italiens oberstem Gericht unter Präsident Carnevale  ■ Aus Rom Werner Raith

Wieder einmal hat Italiens Kassationsgerichtshof (vergleichbar mit dem deutschen Bundesgerichtshof) unter seinem umstrittenen Präsidenten Corrado Carnevale zugeschlagen: Während er einerseits die Hafterleichterungen und Ausgangserlaubnisse für ehemalige Rotbrigadisten, die sich seit langem vom „Bewaffneten Kampf“ losgesagt hatten, anullierte, verfügte er gleichzeitig die Freilassung von gut vierzig in erster und zweiter Instanz zu langjährigen bis lebenslänglichen Gefängnisstrafen verurteilten Mafiosi.

Mit einer geradezu haarsträubenden Begründung: Vor drei Monaten war das Gesetz über Freigang und vorzeitige Entlassung rechtskräftig Verurteilter von der Regierung teilweise außer Kraft gesetzt worden — nachdem ein gutes Dutzend in unteren Instanzen zu „lebenslänglich“ verurteilter Mafiosi gerade freigelassen worden war. Diese Rücknahme will Carnevale nun nachträglich auch auf Ex-Brigadisten angewendet wissen, die bereits vor dieser Verschärfung in den Genuß von Erleichterungen gekommen waren. Andererseits aber anullierte er ein ebensolches Regierungsdekret für U-Häftlinge. Dieses hatte die — von den Mafia-Verteidigern während der sogenannten „Maxiprozesse“ durchgesetzte — Verlesung der gesamten 400.000 Seiten Ermittlungsprotokolle vor Gericht als Zeit definiert, die nicht auf die Höchstdauer der Untersuchungshaft angerechnet werden kann, so daß bis zum definitiven Abschluß der Mafia-Prozesse noch etwa ein halbes Jahr zur Verfügung gestanden hätte.

Wieder einmal steht damit die Justiz Kopf. Sie bringt es nach den starren Regelen des rein formalen römischen Rechts nicht fertig, die genauen Bedingungen zu definieren, nach denen ein Angeklagter im Gefängnis bleiben muß (etwa wie in anderen Ländern Flucht- und Verdunkelungsgefahr — in Mafia-Fällen nahezu stets gegeben), sondern definiert die Höchstdauer von U-Haft streng nach Monaten und Jahren. Derzeit muß ein Verfahren auch bei „lebenslänglich“ höchstinstanzlich innerhalb von vier Jahren abgeschlossen sein, sonst muß Freilassung verfügt werden.

Zum Vergleich: Als es um die Verfahren gegen Mitglieder des „Bewaffneten Kampfes“ ging, wurde die höchstzulässige Dauer von U-Haft ohne Gerichtshofbedenken auf elf Jahre hochgeschraubt. Doch die Brigadisten sitzen alle rechtkräfitg verurteilt ein — während die Mafiosi nun faktisch durch die Bank in Freiheit kommen werden.