Frühe Punks

■ Retrospektive des Werkes von Karl Valentin und Liesl Karlstadt im fsk

Sie sind bettelarm, herzensgut, bescheiden, reinlich und zufrieden. Sie fügen sich klaglos in ihr Schicksal und bemühen sich um ihre Würde und den Respekt der Bessergestellten: Karl Valentin und Liesl Karlstadt, 1936, in Die Erbschaft.

Ein deutsches Ehepaar, das gelernt hat, aus allem das Beste zu machen. Und sie werden dafür belohnt: Ein unbekannter Verwandter hat ihnen eine Erbschaft hinterlassen, ein komplettes Schlafzimmer. Eben noch stand die Kündigung ins Haus, nun winkt ein winzig kleines Glück. Sonnenschein fällt eben auch in die letzte Hütte. Doch der Verwandte war ein Liliputaner. Zu spät: Die alte Bettstatt, letzter Besitz der Bettelarmen ist schon zu Brennholz verarbeitet.

Dem Ehepaar bleibt nichts anderes übrig, als sich in ihr Los zu fügen. Liesl und ihr spindeldürrer ellenlanger Karl zwängen sich in die Kinderbettchen. Nun ja, irgendwie geht's halt immer wieder weiter. Doch es kommt noch schlimmer: Der Notar hatte sich beim Namen Meyer/Maier vertan. Die Erbschaft ist eigentlich für den fast gleichnamigen Liliputaner im zweiten Stock bestimmt und wird auch wieder abgeholt. Macht auch nichts mehr, nun ist wenigstens endlich Platz in der jetzt völlig leeren Wohnung, nun wird auf dem Boden geschlafen. Liesl Karlstadt piepst abgrundtief doof und herzensgut: »Vadder, jetzt müssn mer spoarn...« Ein Tränenrührstück über das Elend der armen Leute. Zum Totlachen. Voll Tugend, Moral und Anstand, ganz wie die zeitgenössischen völkischen Schulbücher — und deshalb bitterböse. Den gefährlich zersetzenden sarkastischen Humor hinter der Scheinheiligkeit hat auch die Zensur der Nazis entdeckt und das ach so liebliche Rührstück umgehend verboten.

Ein Film, der weit davon entfernt ist, nur noch als ein Stück Zeitdokumentation interessant zu sein. Neben der genialen Komik des Duos zeichnet er sich vor allem durch den besonders schmerzenden Humor Valentins aus. Es ist jenes schallende Lachen über jene Unterschichtsspießer, die wir ansonsten in unserem Kulturkreis immer nur als mitleiderregende Opfer, brave Proletarier oder pfiffige Arme dargestellt bekommen. Karl Valentin kotzt sich brüllend vor Hohngelächter aus über jene, die so blöd sind, auch noch respektabel sein zu wollen. Und Liesl Karlstadt, das Supertalent im ewigen Schatten, spuckt und rotzt immer feste hinterher. Schad', daß sie das Kohlsche Zeitalter in Ostelbien nicht mehr erlebt haben...

Politik ist vordergründig kein Thema. Zu komisch, niederträchtig, saudumm, herzensblöde ist die Welt, die das Münchner Sprach- und Humorgenie auf die Leinwand malt. Ein gigantischer Betrug: Immerhin gelang es dem Valentin und der Karlstadt mit ihren angeblich so politikfreien Minikomödien bis ins Kriegsjahr 1941, immer wieder Filme zu drehen. Schön (maniriert-)bayerisch, schräg und halt so liab, volksnah und lustig. Ein durchsichtiges Deppenimage, das ihnen bei manchen dennoch bis heute nachhängt: Immer wieder werden sie zu Münchner Volksschauspielern, zu Regionalberühmtheiten, zu unpolitischen Folklorefiguren erklärt. Ein Riesenirrtum: Wenn man schon Schubladen braucht, dann gibt es für Karl Valentin nur eine — nämlich die, in der auch Charles Spencer Chaplin abgelegt wird. Und fraglich ist noch, wer von den beiden wen beeinflußte oder übertrifft. Besonders die Stummfilmgrotesken und Slapstickfrühwerke zeigen eine Komik, wie sie seither in Deutschland keiner mehr hingekriegt hat. Humor hat halt auch etwas mit Haß und Ekel zu tun.

Man nehme — wie in Der neue Schreibtisch (1914/15) — ein Stehpult, eine Säge und Karl Valentin — und heraus kommt in nur sieben Minuten Kurzfilm ein Wasserfall an Clownerie und Gags, nach dem keinem anderen Komiker noch etwas zum Thema einfällt. Steigern läßt sich solcherlei Lachhysterie allenfalls noch, wenn ein junger Bert Brecht mitmischt, wie in Die Mysterien eines Friseursalons, jenem völlig durchgeknallten Meisterwerk von 1923, das schon alleine wegen der Folterung einer Frau mit Elektroschocks durch eine eifersüchtige Rivalin (zum Schreien grausam: Blandine Ebinger) in die Filmgeschichte eingegangen ist. Aber auch, weil der Valentin fast sechs Jahrzehnte vor den Punks die Iro-Frisur entdeckt hat... Thomas Kuppinger

Die Karl Valentin und Liesl Karlstadt-Retrospektive läuft im fsk, Wiener Straße, 1-36, noch bis zum 27. Februar täglich um 20 Uhr. Das Programm wechselt alle drei Tage. Gezeigt werden noch die längeren Spielfilme Die verkaufte Braut (Regie: Max Ophüls, 1932) vom 16. bis 18. und Der Sonderling (Regie: Walter Jerven, 1929) vom 22. bis 24. Februar. An den übrigen Tagen gibt es wechselnde Kurzfilmprogramme.