Die böse, böse Medienwelt

■ »Krieg am Bildschirm« — ein Medienforum in der Akademie der Künste

Mit der Golfkriegsberichterstattung der Medien ist der Diskussionsbedarf über die gesellschaftliche Rolle der Medien gestiegen. Doch scheint das Wissen über ihre Funktionsweise eher eine Regression durchzumachen. Dem konnte sich auch das »Medienforum« der Akademie der Künste, wo Journalisten mit kritischem Selbstverständnis und der moderierende Heiner Müller am Dienstag diskutierten, nicht entziehen.

Der Fernseher als Sozialpartner mag keine gleichberechtigten Gesprächsteilnehmer neben sich. Seine strahlende Existenz fordert zwar nicht immer alle Konzentration, aber er versteht es, das Dialogbedürfnis seiner Zuschauer geschickt zu zerstreuen oder umzuleiten. Anscheinend und besonders zu Kriegszeiten. So bleibt am Ende des Fernsehabends zwar eine gewisse Unzufriedenheit, aber unklar ist, auf wen man eigentlich wütend sein soll. Auf das, worüber berichtet wurde, auf das Medium, seine Macher oder auf sich selbst als passives Publikum? Analog zu dieser täglich-einsamen Frustration wurde nach vier Stunden öffentlicher Diskussion in der Akademie der Künste eine ganz ähnliche, ratlose Enttäuschung artikuliert. Von Seiten des Publikums und der Podiumsmitglieder. Es schien wie ein Bekenntnis zur Resignation vor den internalisierten Verhaltensvorschriften, die während der Videodarbietung zwischen dem ersten und zweiten Teil der Podiumsdiskussion eindrucksvoll bestätigt wurden. Die schon fast historisch wirkende Monitor-Sendung vom 15. Januar wurde als Beispiel für couragierten TV-Journalismus gezeigt (es war die, in der über Ami-Deserteure berichtet wurde, die bei Bremer Familien Zuflucht gefunden hatten und Borcherts Sag-Nein-Gedicht verlesen wurde). Zwei TV-Sets in der Standardgröße sorgten dafür, daß mehrere hundert Zuschauer konzentriert taten, was von ihnen verlangt wurde, nämlich zuschauen. Aber davor und danach, als diese »kleine, qualifizierte Minderheit« (Jürgen Thebrath von Monitor), die sich in der Akademie versammelt hatte, um über den Krieg am Bildschirm zu reden, zu versuchen, eine Position als Journalist oder Medienrezipient in der Golfkrieg-Berichterstattung zu finden und vielleicht daraus Schlüsse zu ziehen, da funktionierte die Loslösung vom Fernseher nicht. Von seiten des Publikums und der Akteure an den Mikrophonen wurde permanent ein Talkshow-Raster reproduziert, obwohl die Einladungspolitik und damit auch die Absicht der Veranstalter eine andere war.

Die Gäste auf dem Podium aber eigneten sich nicht als solche Kontrahenten, die sich im TV-Idealfall vor laufenden Kameras beleidigen und beschuldigen. Weder Jörg Hafkemeyer vom SFB, noch Jürgen Thebrath oder Cornelia Bolesch ('Süddeutsche Zeitung‘), ließen sich als Repräsentanten eines propagandistischen Schweinejournalismus attackieren. Trotzdem geschah dem so, wohl aus Ermangelung geeigneterer Feinde. Robert Jungk war einer der Diskutanten, der in seinen Statements nicht ohne einen solchen fixierbaren Gegner auszukommen schien: »Die 'SZ‘ war früher mal kritisch-liberal. Jetzt ist sie völlig heruntergekommen.« Um das zu belegen, führte Jungk die Nicht-Veröffentlichung einer Unterschriftenliste an, mit der sich Hochschulprofessoren gegen die Fortführung des Golfkrieges ausgesprochen hatten. Dafür war zwar eigentlich die 'SZ‘-Anzeigenredaktion verantwortlich, aber so genau wollte man nicht differenzieren, gab es doch endlich mal einen Anlaß, wo eine der Anwesenden ausgebuht bzw. Jungk für seine Attacke Beifall gezollt werden konnte. Und so schien die gesamte Diskussion einem merkwürdigen Zwang zu Simplifizierung und Pauschalisierung zu gehorchen, bei dem einige Vokabeln und Standardargumente (»Gleichschaltung«, »Krieg = Videospiel«) auf belanglos-unverbindliche Weise gegeneinander ausgespielt wurden, intellektuell ungefähr so reizvoll wie Auto-Quartett-Karten zu tauschen. Trotzdem stieg die Stimmung im Saal und schraubte sich einige Male sogar bis zum Faschingsniveau hoch. »Halt die Schnauze, du Scheiß- Demokrat«, tönte es da aus dem Publikums-Wald und ein »Volkes Meinung — da kann ich drauf pfeifen!« flog als Antwort zurück.

Einige der eingeladneen Gäste hatten in ihren Eingangsstatements zwar inhaltlich Dialogangebote gemacht — Thebrath und Bolesch übten Selbstkritik, Hafkemeyer und Jungk versuchten hin und wieder irgendwelche pragmatischen Handlungsmaximen zu entwickeln (Medien- Kontrollräte aktivieren, Förderung kritischer Recherche etc.), aber niemand war im Verlauf des Abends bereit oder fähig, die narzißtisch-monologische Rede zu unterbrechen. Im Zweifelsfall entschied man sich gegen die Analyse, für beifallsheischende Zynismen. Auch Claus Eurich, Journalistik-Professor aus Dortmund, vermied es, sein sicheres Universitäten-Kämmerlein zu verlassen, wo sich über die böse Medienwelt fein schimpfen läßt. Der Golfkrieg scheint die selbstgerechte Bequemlichkeit im Lehrersessel jedenfalls nicht in Frage zu stellen: »...Da traf ich neulich eine meiner Studentinnen, die jetzt bei ‘Heute' arbeitet und fragte sie: ‘Wie kannst Du es nur bei diesem unsäglichen Peter Voss aushalten?'« Eurich verließ später schweigend das Podium und überließ es seiner Sitznachbarin, der Informatik-Professorin Christiane Floyd, auf diesen seinen Protest aufmerksam zu machen. Das war ungefähr genauso wirkungsvoll wie der Fernseh-Boykott wäre, den Filmemacher Reinhard Hauff vorschlug: wir sollten den Apparat doch einfach mal ausschalten und dadurch die Journalisten zum Nachdenken zwingen. Ob Hauff als Fernseh-Regisseur wirklich nicht weiß, wie Einschaltquoten ermittelt werden?

Bedenklich war — und dieser Vorwurf trifft das schweigende Publikum als nicht-intervenierendes genauso wie die Diskussionsteilnehmer — wie das Wissen um die Funktionsweise von Medien mit Beginn des krieges eine Regression durchzumachen scheint, so daß eine genaue, kompetente Beobachtung der Medien eher nachzulassen als zuzunehmen scheint. Daß z.B. Nachrichteninformatioen eine Handeslware sind, daß Überinformation und Zensur im Endeffekt sehr ähnlich wirken können — das gehörte doch vor dem Krieg schon mal zu Allgemeinplätzen. Wieso also plötzlich die Rekonstruktion eines Wunsches nach moralisch-integren Fernsehsendern? Komisch auch, wenn die »human-touch«-Kriegsberichterstattung als progressiv-pazifistisch wiederentdeckt wird, oder das Senden von Schwarzfilm als beste Möglichkeit des Kommentars und der Analyse diskutiert wird. Zwingt man damit nicht das Wort in diesem Krieg zur möglichst raschen Kapitulation, gibt den intellektuellen Protest einfach so auf, wie es analog mit den »diplomatischen Bemühungen« vor dem 15.1. geschehen war?

Heiner Müller, der die Diskussion eignetlich ganz prima leitete, ihren deprimierenden Verlauf aber nicht verhindern konnte, beendete die Zusammekunft mit der konsequent-klugen Doppelfrage, ob man das System also ändern oder sprengen müsse? Ist es aber möglich, das System zu ändern, ohne es zu sprengen? Dorothee Wenner