Zeugnis eines Lebensendes

■ „Abschied vom Leben — Gespräche mit einer Sterbenden“, ARD, 23.00 Uhr

Vor dem Tod versagt die Sprache. Nur selten gelingt es unheilbar Kranken, die um ihr nicht mehr herauszuzögerndes Ende wissen, mehr mitzuteilen als ein paar Floskeln — zum Beispiel das immer wieder geäußerte Gefühl, im Angesicht des Todes intensiver zu leben. Liegt es daran, daß eine Gesellschaft, die das Ideal der Jugend anhimmelt und den Tod in Altenheimen und Sterbekliniken isoliert, für das Ungegreifliche, das Lebensende, einfach keine Worte hat? Auch dieser Film gibt darauf keine Antwort, kann sie nicht geben, aber er versucht immerhin eine Annäherung an etwas schwer zu Fassendes.

Susanne Fleer nimmt Abschied vom Leben, und sie weiß sich auszudrücken. Ihre Empfindungen, das Ablösen von den Verwandten und Freunden und die allmähliche Verschiebung der Wahrnehmung, die die Leukämiekranke an sich feststellt, könnte kaum jemand ernsthafter und eindrücklicher schildern. Die Dreharbeiten begannnen, als sich die junge Frau nach einer gelungenen Knochenmarktransplantation auf dem Weg der Besserung wähnte. Doch ein Rückschlag nimmt die letzte Hoffnung. Daß Susanne Fleer an ihrem Sterbebett das Filmteam duldet, macht aus dem Film ein seltenes Dokument über den Umgang mit dem Tod.

Werner Filmer und sein Kameramann Ernst-Michael Winges bleiben in der Umsetzung des schwierigen Themas zurückhaltend, darum wissend, daß jedes Bild sorgfältig ausgewählt sein muß, um der Gefahr des Voyeurismus zu begegnen. Ob es aber notwendig war, die letzte Wegstrecke der Patientin als mustergültige Bewältigung, ja vielleicht gar als vorbildliches Vorsterben darzustellen, wie es ihr Arzt vor der Kamera postuliert? Plötzlich bekommt der Film eine Botschaft aufgepfropft, die so absichtsvoll wie überflüssig ist. Der inhaltliche Zweck führt auch zum formalen Bruch. Aus dem leisen Gespräch, das mit sparsam gesetzten, symbolischen Bildern unterschnitten ist, entwickelt sich eine Reportage, in der plötzlich Figuren und Schauplätze aus dem Nichts auftauchen: der Arzt und der Seelsorger, beide darum bemüht, die letzten Stunden der Susanne Fleer zum vorbildlichen Sterbeakt hochzustilisieren. Aus dem Zeugnis eines Lebensendes wird ein Lehrfilm — unnötig verkürzt zu einer Anleitung zum Sterben. Christof Boy