Sizilianer aus „Todesdreieck“ vor Gericht

In Kempten wurde gestern ein Mafiaprozeß eröffnet/ Drogenhandel als Anklagepunkt/ Für weitere Straftaten fehlen die Zeugen/ Zeugen und Angeklagte pflegen die „Ehre der Verschwiegenheit“  ■ Aus Kempten Klaus Wittmann

Es werde wohl nicht leicht sein, die fünf Angeklagten zu konkreten Aussagen zu bewegen. Davon geht die Staatsanwaltschaft in dem Mafiaprozeß aus, der gestern in Kempten begonnen hat. Schließlich sei zu befürchten, daß die des Drogenhandels beschuldigten Sizilianer nach der alten Mafiaregel „Honore d'omerta“ handeln würden: Ehre der Verschwiegenheit.

Die Kemptener Staatsanwälte wissen, wovon sie reden, denn im vergangenen November waren bereits zwei von sieben Bandenmitgliedern verurteilt worden — nach einem äußerst schwierigen Verfahren, in dem die Beschuldigten ihre Mitgliedschaft in einer „mafiaähnlichen Vereinigung“, so der Richter, immer wieder leugneten.

Zur Vorgeschichte: Im Dezember 1989 waren zehn Wohnungen und drei Kneipen beinahe zeitgleich im Raum Hannover, in der Schweiz und in Kempten Ziel von großangelegten Razzien. Dabei konnten mehrere Mitglieder der „berüchtigten Mafiafamilie Santangelo gefaßt werden“, berichtete damals der Präsident des bayerischen Landeskriminalamtes, Heinz Lenhard. Den Verdächtigen wurden Tötungsdelikte auf Sizilien und Schutzgelderpressungen sowie illegaler Rauschgift- und Waffenhandel zur Last gelegt. Für die Hautpverhandlung blieb schließlich nur noch der Drogenhandel als Anklagepunkt übrig.

Eine lange Liste von Delikten, begangen in der Bundesrepublik, veranlaßte damals den extra eingeflogenen Interpol-Fahnder Dr. Paul Carnevale aus Rom zu der Feststellung: „Die Mitglieder der Bande haben versucht, in Kempten ähnliche Voraussetzungen zu schaffen wie in Adyana. Nach und nach hatte sich herauskristallisiert, daß es sich bei den Aktivitäten der Mafia auf deutschem Boden längst nicht mehr nur um ein Ruhe- und Rückzugsgebiet handelt, sondern „um einen Aktionsraum für deren kriminelle Aktivitäten“.

Zahlreiche Schutzgelderpressungen, vor allem von italienischen Gastwirten in der Bundesrepublik, wurden nach ihrer Festnahme den Sizilianern zur Last gelegt — nicht ohne den Hinweis, daß, wenn es darauf ankommt, keiner von den Zeugen mehr etwas sagen will. Morddrohungen seien bekannt geworden, und einmal seien in Kempten drei deutsche Gastwirte brutal zusammengeschlagen worden. Die fehlenden Zeugenaussagen sind auch der Grund, daß diese Vorwürfe in der Anklage nicht mehr auftauchen.

Ins Rollen gekommen ist alles durch einen verdeckten Ermittler des LKA Bayern. Der hatte eine Lieferung von einem Kilo reinen „Kokses“ im Wert von 160.000 Mark angeleiert. Von einem Kölner Depot aus solle der Stoff ins Allgäu gebracht werden. Zwei der gesuchten Mafiosi entkamen, als die Polizei zugriff. In der Seitenverkleidung ihres PKWs wurden Handfeuerwaffen und reines Heroin gefunden.

Seit gestern stehen nun die bisher noch nicht verurteilten fünf mutmaßlichen Mafiosi vor Gericht. Die meisten von ihnen stammen aus der Gegend von Adrano, Biancavilla und Paterno am Fuße des Ätna, einem Landstrich, der besser bekannt ist als „Todesdreieck“. 110 Morde sind nach Polizeiangaben im Jahr der Festnahme allein in dieser Region begangen worden.

Schon im Vorfeld des Prozesses, der sich wohl bis in den Frühsommer hinziehen wird, war es zu heftigen Auseinandersetzungen gekommen. Die Anwälte der Angeklagten hatten sich massiv dagegen zur Wehr gesetzt, daß neben einem verstärkten Polizeiaufgebot ihre Mandanten auch noch mit Fußfesseln vor Gericht erscheinen sollten. Diskriminierend und erniedrigend sei eine solche Behandlung, wenn sie „wie Galeerenstäflinge vorgeführt würden“.

Am Vormittag des ersten Verhandlungstages ging es deshalb auch um eine Serie von Anträgen, auf die Feßlung zu verzichten. Das Gericht blieb jedoch bei dieser Maßnahme, obwohl jeder Angeklagte zusätzlich von einem Sicherheitsbeamten bewacht wird.

Im Kempten hat man sich derweil auf ein langwieriges und besonders schwieriges Verfahren eingestellt; auf ein Verfahren, bei dem kaum mit Aussagen oder gar Geständnissen gerechnet werden darf und bei dem jeder einzelne Punkt der Anklage durch Zeugen oder Indizien bewiesen werden muß.

Mehr oder weniger offen ist auch immer wieder von der Angst die Rede, die allenthalben umgeht. Denn die Drahtzieher und Hintermänner sitzen angeblich noch immer in Sizilien.