Charta 77 und Citizen Fish

■ Putziger Kopierservice

Der beste Kopierservice der Welt ist in Schweden beheimatet. Die motor-gerädertsten Bikerrocker (Leather Nun), die afrika- befreiendste HipHopperin (Leila K.), die größemwahnsinnigsten Mods (Nomads), etwas später die härtest-rockenden Hardrocker (nochmal die Nomads) und schließlich die weinseligsten Liedermacher (Thirteen Moons) sind Kinder des Vorgartensozialstaats unter dem Nordlicht, dem alkoholfreien Brutkasten mit der größten Alkoholikerzahl gewesen.

Mit Charta 77 reiht sich die arschlappigste Punkrockband seit Erfindung des Schottenkaro-Zipfels in den Reigen der Echter-als- echt-Enkel ein. Charta 77 verfahren nach dem Xerox-Prinzip mit haargenauer Maßarbeit. Überlagern Damned-, Undertones- und Buzzcocks-Gitarren mit Wire-Rotzigkeit, wie sie Peter Hein einst an Colin Newman aufrichtig noch bewunderte.

Daraus gelingt Charta 77 eine Collage, die als Original durchgeht. Die letzten ungenauen Ränder am Abbild werden mit etwas Tipp-Ex übertüncht, ein leichtes Erhöhen der Geschwindigkeit macht das Original zum müden Abklatsch. Nur am sauberen Zusammenspiel, am genaueren Timing und den melodiöseren, weil poppigeren Linien fällt auf, daß 1977 eine chronisch miese, ziemlich wutausschleudernde Stimmung geherrscht hat, während Charta 77 heute vorrangig schnellen Spaß erspielen.

Außerdem sollte eine Punkband mit Stolz auf die Herkunft diesen nicht gerade darin finden, »Another Brick In The Wall« von Pink Floyd mit ins rasante Programm aufgenommen zu haben. Die eine oder andere Schrammel-Ballade ginge ja durch, aber dieser Sozialheuler, dem vor einem halben Jahr erst abermillionen Deppen huldigten? Doch bei der Coverkunst von Charta 77 schmeckt wahrscheinlich selbst die olle Kamelle heute so lecker wie ein englischer Toffee.

Die Citizen Fish sind dagegen fast schon noch eine originale, echt unmoderne britische »In the middle of nowhere«-Tottenham-Punkband. Machen sich die Mühe, ein putziges Fischgeschichten-Band-Comic als Promo beizulegen, das als erstes verkündet, es handle sich dabei um eine traurige Geschichte, trotz der netten Zeichnungen.

Singen von der Polltax und dem Armutsfrust mit soviel angesammelter Frustration, daß selbst der Papst ihnen den Segen zur Revolte gäbe. Spielen dabei sperrig ihre Instrumente über den Haufen und wirbeln laut/leise und schnell/langsam wild und willkürlich durcheinander. Werden bald zur dritten Generation von Crass-Nachfahren geworden sein, Enkel zwar, aber ohne Kopiergerät. Die Neu-alt-neuen spielen heute nacheinander. Harald Fricke

Beide Bands am Samstag um 22 Uhr im K.O.B., Sonntag um 21 Uhr im Schoko-Laden Mitte und Montag 21 Uhr in der fabrik Potsdam