J.M.K.E.

■ Wodkaabschüttpunkrock

Hinreißend! Zugegebenerweise habe ich ein Faible für Menschen, die solche Buchstabenverwirrungen wie »Kylmälle maalle« aussprechen können, ohne sich dabei ernsthaftere Verknotungen der Feinmotorik in Zunge und Kehlkopf zuzuziehen. Wenn sie das ganze dann auch noch mit schepperndem, gemeinem, magengeschwürig-versoffenem, ich-bin-wieder-mal-der-erste- Geschwindigkeitsrauschpunkrock unterlegen, einen Wust völlig unverständlicher, aber überzeugend zorniger Textballen drüberwerfen, sind sie meiner Sympathie sicher.

Mr. Villu Tamme (git, voc), Venno (dr) und Lembit (b) stammen aus Tallin, Estland, bezeichnen ihre Debut-LP des oben zitierten Titels als das erste wirkliche Punkrockalbum der kompletten UdSSR und begreifen sich insofern als Kulturschock der Union. Wahrscheinlich zu Recht — sie dürften das härteste und unerbittlichste sein, was die sowjetische Musikszene zur Zeit zu bieten hat. Villu tobt bereits seit etlichen Jahren in diversen Kombinationen durch das ewige Eis und hat sich von Anfang an konsequent sämtliche Sympathien der dortigen Musiklobby durch seine furchtlos ehrlichen Texte verspielt.

Bis zur Perestroika war J.M.K.E. nicht ein einziger Hit in ihrem Heimatland vergönnt, obwohl sie sich im benachbarten Finnland größter Beliebtheit und diverser Chartserfolge rühmen durften. Aber irgendwie waren sie immer nie die Art von typischen jungen russischen Männern, die man gerne als Visitenkarte ins Ausland verschickt und mit Hilfe derer man sich seine eigene unermessliche Kulturbeflissenheit ins Gedächtnis ruft. 1989 durften sie zum ersten Mal Estland verlassen und in Finnland spielen, wobei sie sich entschlossen und kampferprobt ihren Überfliegerstatus zu sichern wußten (die Premiere im freien Westen fand vor einer Versammlung der führenden Kommunisten Finnlands statt, wobei das Durchschnittsalter bei knapp 42 Jahren gelegen haben dürfte ...).

Jedenfalls schafften sie auch, ungeachtet dieses vielleicht nicht ganz so überzeugenden Abends, mit ihrer Single »Tere Perestroika« den Sprung in die finnischen Top Ten. Seither ist ihr harter steiniger Weg mit Erfolg gepflastert, nach wie vor versteht kein Mensch, was sie eigentlich sagen (es sei denn, man bestellt in Helsinki bei Stupido Twins die Platte, da sind dann die englischen Texte dabei) — nichtsdestotrotz dürften sie heute abend das exotischste und spannendste Konzert der Stadt abliefern. Wodkaabschüttpunkrock. Erika

Um 22 Uhr im K.O.B.