: Das Volk der Sorben in Auflösung
Viele alte Domowinamitglieder dachten, daß allein mit Entmachtung alter SED-Kader die Vergangenheit bewältigt und mit Alleinvertretungsanspruch der Domowina wieder alles im Lot wäre ■ Von Irina Grabowski
Cottbus (taz) — Seit Jahresanfang hat die Organisation der Sorben „Domowina“ keinen Pfennig Unterstützung mehr aus den Staatskassen erhalten. Die meisten der knapp über 40 Mitarbeiter im Vorstand wurden auf Kurzarbeit gesetzt. „Traurig, aber wahr“, meint Rafael Schäfer, Bildungsexperte im Vorstand der Domowina. Gezehrt werde zur Zeit von Restgeldern, mit denen eigentlich das Haus der Sorben in Bautzen und sein Pendant in Cottbus restauriert werden sollten. Das Bautzener Gebäude stehe ohnehin auf wackligem Grund. Voreilig wurde das begehrte Grundstück, das nach 1945 den Sorben als Wiedergutmachung für die leidvolle „Germanisierung“ während der Nazizeit übereignet worden war, später zum Volkseigentum erklärt. Nun hält die Treuhand, jene allmächtige Anstalt in Berlin ihre „treue Hand“ drauf.
Ist es schade um die Domowina oder geht es hier nur um das Überleben eines den „Zielen von Partei- und Staatsführung verpflichteten“ Relikts? Das Vorwende-Statut der Domowina, in dem an erster Stelle die kommunistische und sozialistische Erziehung der Sorben und dann unter ferner liefen auch ein bißchen sorbische Kultur und Sprache Erwähnung fanden, war auf dem letzten Bundeskongreß der Domowina im März 1990 gekippt worden. Bei der Wahl des neuen Vorsitzenden hatte sich der Vertreter der oppositionellen Sorbischen Volksversammlung, der evangelische Pfarrer Jan Malink, nicht durchsetzen können. Und doch hatten sich die sorbische Opposition entschlossen, im Vorstand der Domowina mitzuarbeiten.
Es geht um mehr als um sorbische Trachten
„Die Sorben brauchen eine gemeinsame Vertretung“, meint Clemens Rehor, katholischer Pfarrer in Radibor bei Bautzen. Er trat der Domowina im vergangenen Jahr bei, um sie von Innen heraus zu ändern. Viele alte Domowinamitglieder dachten, daß allein mit der Entmachtung alter SED-Kader die Vergangenheit bewältigt und mit dem Alleinvertretungsanspruch der Domowina wieder alles im Lot wäre. Gegen ihren Widerstand setzten Leute wie Pfarrer Rehor und Rafael Schäfer die Umgründung der Domowina in einen Dachverband für alle sorbischen Vereine durch. Die neue im Januar angenommene Satzung sichert die plurale Vertretung aller Vereine im Vorstand. Pfarrer Rehor denkt, daß auch die von ihm geleitete Vereinigung „Cyrill und Methodius“, die vor allem das kirchliche Leben in katholischen Gemeinden unterstützen und das Nationalitätsbewußtsein der Sorben stärken will, der Domowina betreten kann. Doch gerade die gläubigen Sorben können schwer verwinden, daß die Domowina ihr Volk als „folkloristisches Hätschelkind“ an Ulbricht und Honecker verraten hat. Die Subventionen von jährlich 20 Millionen Mark flossen zu einem beträchtlichen Teil in die Ausrichtung protziger Feste, die allein dem Showeffekt dienten und nicht der Pflege des bedrohten Sorbentums. Was mit der großzügigen Finanzierung von sorbischen Lehrbüchern und der Erforschung sorbischer Sprache und Bräuche Gutes getan wurde, hat die Industrialisierung der Region um Hoyerswerda und Liquidierung sorbischer Dörfe im Niederlausitzer Braunkohlenrevier wieder zerstört.
Mit der deutschen Vereinigung wurden die Sorben auf zwei Länder — Sachsen und Brandenburg — verteilt. Doch schlimmer als die administrative Trennung ist, daß es keine gesetzlichen Regelungen für die kulturelle und Bildungsautonomie gibt und sich deshalb keine deutsche Behörde veranlaßt sieht, den Sorben unter die Arme zu greifen. Die sorbische Zeitung „Serbske Nowiny“ ist nur noch bis Ende Februar finanziell abgesichert. Auch andere Publikationen, die im Domowina-Verlag gedruckt werden, müssen ihr Erscheinen einstellen. Nur das Institut für sorbische Volksforschung in Bautzen konnte bei der Evaluierung Pluspunkte sammeln. Das Urteil der vom Wissenschaftsrat eingesetzten Expertengruppe: unbedingt bewahrenswert. Doch noch kann sich Direktor Helmut Faßke nicht beruhigt seinem eigentlichen Metier, der Sprachforschug, widmen. Erst im Sommer wird die sächsische Regierung darüber entscheiden, ob sie dem Vorschlag der Evaluierungskommission folgend das Institut in Landeshoheit übernimmt. Schon jetzt fehlt das Geld, um die Ergebnisse einer soziologischen Studie über das Zusammenleben von deutschen und sorbischen Bürgern zu veröffentlichen.
Auf die Gefahr des Niedergangs des kleinsten slawischen Volkes — die Zahl der Sorben wird auf 60.000 bis 80.000 geschätzt — machten Domowinavertreter in Bonn und der sächsichen Staatskanzlei aufmerksam. Dort müsse, so Rafael Schäfer, begriffen werden, daß es nicht allein um sorbische Trachten gehe, sondern um den Reichtum der europäischen Völkergemeinschaft. Im Gespräch ist eine Stiftung für das sorbische Volk, die zu 60 Prozent vom Bund und zu 40 Prozent von Sachsen und Brandenburg gehalten werden soll. Doch die notwendige Sorforthilfe kam allein von der westdeutschen Herrmann-Niermann-Stiftung, die die Vogelhochzeitsfeste Ende Januar und eine Olympiade der sorbischen Sprache möglich machte. „Wir sind ein Volk in Auflösung“, schätzt Rafael Schäfer nüchtern den unaufhaltsamen Prozeß der Assimilierung der Sorben ein. Es gibt nur noch eine Handvoll Ortschaften in der Kamenzer Gegend, in denen die sorbische Dorfgemeinschaft noch intakt ist und nicht von zugezogenen Deutschen dominiert wird. Doch die prikäre Finanzlage ist keine Entschuldigung dafür, diese letzten Inseln vorzeitig zu zerstören. Egal wieviel Sorben die Lausitz noch hat: Sie haben ein Recht darauf, ihr Andersein zu leben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen