Felicia Langer: »Zeit ist Blut«

■ Die israelische Rechtsanwältin, die 23 Jahre lang PalästinenserInnen verteidigte, über die Situation in den besetzten Gebieten/ Deutsche Waffenexporte nach Israel »helfen uns nicht«

Berlin. Alle wollten Felicia Langer hören, die der AStA der Technischen Universität vorgestern abend zum Vortrag nach Berlin eingeladen hatte. Der Raum in der TU war so überfüllt, daß die rund tausend ZuhörerInnen auf den Lichthof ausweichen mußten. Die israelische Rechtsanwältin, die 23 Jahre lang PalästinenserInnen verteidigt hat und dafür mit dem »alternativen Nobelpreis« und dem »Bruno-Kreisky-Preis« ausgezeichnet wurde, mußte bei ihren Ausführungen über die besetzten Gebiete in Israel ihre Stimmbänder mächtig strapazieren, aber sie tat es mit Autorität und nicht ohne Charme. »Aus Gewissensgründen«, sagte sie, habe sie Tausende von palästinensischen Mandaten verteidigt, »und nicht weil ich schön dastehen wollte, das ist nicht wichtig.« Es folgte die kleine sympathische Verbesserung: »Doch, das ist wichtig, aber in anderem Zusammenhang.«

»Mit Schmerz und Zorn«, berichtete sie, habe sie im letzten Jahr ihr Büro in Israel geschlossen, weil ihre Bemühungen um ihre Mandaten in den allermeisten Fällen umsonst und nur »in zwei bis drei Prozent« der Fälle von einem gewissen Erfolg gekrönt waren. Seit sieben Monaten lebt sie in Tübingen und reist seitdem als vielgefragte Expertin der palästinensischen Sache durch die Bundesrepublik: »Ich versuche immer noch, eine Brücke zwischen den Völkern zu schlagen.«

Die Politik der israelischen Regierung, meinte sie, sei »ein Beispiel für den Bruch des Völkerrechts«. Die Archive seien voll mit verstaubten UNO-Resolutionen gegen die Besatzungspolitik auf dem Gaza-Streifen und in der Westbank. Die Vereinten Nationen hätten nicht das Recht, sich in derlei Fragen einzumischen, behaupte die Regierung in Tel Aviv. »Und Kuweit ist die 19. Provinz des Irak«, fügte die Anwältin unter Anspielung auf den anderen Völkerrechtsbruch im Irak sarkastisch hinzu. Zu den »völkerrechtswidrigen Maßnahmen« gegen die PalästinenserInnen rechnete sie auch »vorsätzliche Tötungen« und Folterungen während der Intifada, »so viele Folterwunden« ihrer Mandanten habe sie mit eigenen Augen gesehen, sowie »Deportationen und Hauszerstörungen«: 52 Prozent des besetzten Landes sei inzwischen in israelischen Händen. Diese »Apartheid- Politik« gegen die PalästinenserInnen, so ihre harten Worte, sei nun während des Krieges durch die Verweigerung von Gasmasken, Schutzräumen und eines Alarmsystems »besonders deutlich« geworden.

Ihr Land, so hätten ihre Freunde von der israelischen Friedensbewegung vor Ausbruch des Krieges immer wieder betont, habe den Schlüssel zu einer friedlichen Lösung der Nahostkonflikte inne. Mit der PLO und allen anderen Seiten inklusive der irakischen und kuweitischen müsse verhandelt werden, um eine regionale Zone ohne Massenvernichtungsmittel zu schaffen: »Als Insel können wir nicht immer mit der See Krieg machen.« Vor allem jetzt im Golfkrieg gelte noch mehr, was sie schon vor zwei Monaten so beschrieben habe: »Zeit ist Blut.« Felicia Langer sprach sich hier trotz der irakischen Giftgasdrohungen gegenüber Israel gegen deutsche Waffenlieferungen aus: »Noch eine Patriot- Rakete, noch mehr Waffen, das ist nicht für uns, sondern für das gute Gewissen derer, die vorher den Irak beliefert haben.«

Immer wieder erhielt die Anwältin begeisterten Beifall. Die Kehrseite: Kritische Fragen einer kleinen jüdischen Gruppe wurden erbarmungslos niedergebuht. Aber besonders intelligent waren diese Zwischenrufe auch nicht immer. »Warum sind Sie in dieser schwierigen Situation nicht in Israel?«, warf ihr beispielsweise eine Frau vor. Als ob nicht alle israelischen Staatsbürger das Recht hätten, ganz allein für sich selbst zu entscheiden, wo und wie sie sich diesem grausamen Krieg aussetzen. Ute Scheub