Hürden für jüdische Emigranten höher

■ Neues Aufnahmeverfahren setzt sowjetische Juden der Diskriminierung aus/ Einreiseanträge ab heute nur noch in der Sowjetunion möglich

Berlin. Seit Mitternacht können Juden, die aus der Sowjetunion nach Berlin reisen und hier um ein Bleiberecht bitten, abgewiesen werden. Theoretisch jedenfalls. Denn seit heute 0:00 Uhr gelten die Regelungen, die die Ausländerreferenten des Bundes und der Länder auf einer Tagung am 28. bis 30. Januar 1991 in Fulda beschlossen haben. Das Papier liegt der taz vor. Die Einreise und Aufnahme sowjetischer Juden richtet sich nach den Vorschriften des »Gesetzes über Maßnahmen für im Rahmen humanitärer Hilfsaktionen aufgenommene Flüchtlinge«. Zwar wurde auf eine Einreisebeschränkung verzichtet, das Ausreiseverfahren jedoch erheblich erschwert.

Bislang kamen die von Antisemitismus Bedrohten oft Hals über Kopf nach Berlin, die meisten von ihnen mit einem Touristenvisum. Zwischen ihrem Beschluß, das Land zu verlassen, und der tatsächlichen Ausreise lagen oft nur Tage. Damit ist es jetzt vorbei. Ab sofort sind für die Entgegennahme von Anträgen sowjetischer Juden auf Erteilung eines Visums die deutschen Auslandsvertretungen in der Sowjetunion zuständig. Die Juden aus der weiten Sowjetunion haben sich in die Warteschlangen vor den Konsulaten in Leningrad, Moskau, Kiew oder Odessa einzureihen, müssen Anträge ausfüllen und nachweisen, daß sie unter die Bestimmungen des »begünstigten Personenkreises« fallen.

Ab dann mahlen die Mühlen der Bürokratie. Die Ausreiseanträge werden dem Bundesverwaltungsamt (BVA) in Köln zugeleitet, das die Verteilung auf die Bundesländer vornimmt. Das BVA schickt die Anträge an die Zentralstellen der Länder, diese bearbeiten sie und melden die Aufnahmezusage wiederum dem BVA. Erst dann — und darüber können Monate ins Land gehen — unterrichtet das BVA die Konsulate in der Sowjetunion, ob und mit welchen Maßgaben das Visum erteilt werden kann.

Die Gefahr besteht, daß die Ausreisewilligen während der Wartezeit als »Dissidenten« diskriminiert oder gar als sich jetzt bekennende Juden von antisemitischen Organisationen bedroht werden. Sollten sie den Weg nach Deutschland schaffen, verbessern sich zumindest die aufenthaltsrechtlichen Bedingungen. Die Emigranten, die alle bürokratischen Hürden hier und dort genommen haben , werden nicht wie bisher nur »geduldet«, sondern erhalten als »Kontingentsflüchtlinge« eine »unbefristete Aufenthaltserlaubnis«. Als »humanitäre Geste« werden auch all die 4.800 Juden, die bereits seit Monaten in Deutschland — und hier vor allem in Berlin — leben, als »Kontingentsflüchtlinge« anerkannt. Auf der anderen Seite aber enthält das neue Verfahren jede Menge Fallstricke. Die noch im Besitz der jüdischen Emigranten befindlichen Reisepässe werden von den Ausländerbehörden eingezogen und über das Auswärtige Amt an die Sowjetunion zurückgegeben. Dies wiederum kann bedeuten, daß noch in der Sowjetunion lebende Angehörige diskriminiert werden. Die unbefristete Aufenthaltserlaubnis wird für die Dauer des Bezugs von Sozialhilfe und Eingliederungshilfen räumlich auf das den Emigranten zugewiesene Bundesland beschränkt. Anita Kugler