Gänsehaut

■ Betr.: "Das Echo der eigenen Vergangenheit", taz vom 5.2.91

betr.: „Das Echo der eigenen Vergangenheit“ (Hans Magnus Enzensberger über Saddam Hussein, Adolf Hitler, die Irakis und die Deutschen), taz vom 5.2.91

[...] Ich kaufte mir den 'Spiegel‘ und las. [...] Einem Vergleich Saddam Husseins mit Hitler, reduziert auf die Personen kann ich durchaus zustimmen. Gänsehaut bekam ich mit dem folgenden Satz: „Und wenn ein erheblicher Teil der deutschen Jugend sich eher mit den Palästinensern als mit den Israelis, wenn sie ihrem Protest lieber gegen Bush als gegen Saddam Hussein richtet, so ist das mit Ahnungslosigkeit kaum zu erklären.“

Ich frage mich, gehört zum Ahnung haben neben der Einschätzung Saddam Husseins nicht in erster Linie das Erschließen der ganzen Problematik. Es stellt sich auch die Frage, warum die „humanen Demokratien“ des Nordens erst von der Bestie Saddam Husseins sprachen, als eine Handvoll schmarotzender Ölscheichs vertrieben wurden. Despoten, die 1961 von der sterbenden Kolonialmacht England per Okkupation an die Macht gebracht worden sind. Jahrzehntelang wurden die Ölpreise seitdem von den kuwaitischen Herrschern gedrückt, um es dem konsumierenden Norden rechtzumachen. Investiert wurde in Aktien und Obligationen europäischer und amerikanischer Konzerne.

Als Tausende KurdInnen mit Giftgas „made in Germany“ ermordet wurden, blieben die westlichen Musterhumanisten ruhig, billigten Giftgasexport und Holocaust. Wen interessiert schon ein Volk, das nirgendwo hingehört, nicht zu gebrauchen ist; wen interessiert es, ob ein Obdachloser im eigenen Lande bei 20 Grad minus in der Kälte liegt und verreckt?

[...] „Von seinen Erfahrungen her dürfte kein Volk so qualifiziert sein wie das deutsche, das zu verstehen, was heute in der arabischen Welt geschieht.“ Und dann wird aufgezählt: „...fanatischer Haß, ...das gigantischste Ringen aller Zeiten; Endkampf, Endsieg...“

Die damalige blinde Begeisterung des größten Teils der deutschen Bevölkerung und die heutige Extase vieler AraberInnen wird verglichen. Der Autor hat recht, wenn er den plötzlichen Pan-Arabismus, die Glorifizierung des Islam, die Parteinahme Saddam Husseins für das palästinensische Volk als Farce bezeichnet. In der jüngeren Geschichte hatte der Diktator von Bagdad oft genug seine Position gewechselt, wenn es seiner persönlichen Machtausbreitung diente. Mir leuchtet es jedoch wiederum nicht ein, daß ein solcher Problemkomplex einzig und allein auf die Person Saddam Husseins reduziert wird. Vielleicht ist es eine Folge derartiger Reduzierungen, wenn unsere „freie, demokratische“ Berichterstattung den Vernichtungskrieg gegen die irakische Zivilbevölkerung als chirurgischen Eingriff per Computer wertet und andererseits bei dem Beschuß Israels (den auch ich entschieden verurteile) von Kriegsverbrechen spricht.

Von den mechanischen Begriffen der LTI (Sprache des Dritten Reichs) „aufziehen, ausradieren etc.“ ist mensch nun zum klinischen, sterielen, zur Chirurgie übergegangen. Wir, „die Deutschen“, müßten es wirklich am besten verstehen. Ulf Pape, Ost-Berlin