"Es gibt Essays, die so brillant sind..."

Es gibt Essays, die so brillant sind, daß ihr Lob sich schämt. Zu diesen zählt der erstmals ins Deutsche übertragene Aufsatz von Marcel Ray über George Grosz, den der Verlag „Das Arsenal“ gerade herausgebracht hat. Marcel Ray gibt auf 40 Textseiten eine Einschätzung des Künstlers zu Lebzeiten, um die erste große Präsentation von Grosz' Werk in Paris 1927 interpretatorisch zu flankieren. Seinen Sätzen ist auch heute nichts hinzuzufügen. „Deutsche Kritiker haben von einem neuen Daumier gesprochen. Daumier und Grosz haben nichts gemein als die Kraft. Keine Fröhlichkeit bei Grosz, kein Humor und vor allem die geringste Neigung zur Karikatur. Er ist streng, hitzig und fanatisch wie ein ausgemergelter Mönch. Sein Pessimismus ist weit jenseits von Persiflage und Satire. Warum, schreibt Carl Einstein vernünftigerweise, wird er sich die Mühe machen, eine Epoche zu verhöhnen, die bereits Karikatur und Persiflage in ihrer stupiden Aktualität ist? Die Zeit ist nicht mehr zum Lachen, und Grosz hat auch keine Lust darauf.“

Das Buch enthält über die unverändert übernommene Auswahl von Zeichnungen (mit denen wir die heutigen Literaturseiten illustrieren) und Aquarellen der französischen Originalausgabe hinaus zeitgenössische Bilder und Dokumente. Es wurde aus dem Französischen übersetzt und herausgegeben von Dirk Heißerer, ist broschiert und kostet DM 26,80.

Zur Abbildung auf dieser Seite: Die Grosz-Zeichnung Gustav Gessler erschien zum Verbot der (von Grosz mitherausgegebenen) Zeitschrift 'Pleite‘. Gustav Noske, sozialdemokratischer Politiker und seit 1906 Mitglied des Reichstags, warf im Januar 1919 mit Regierungstruppen und Freikorps den Berliner Spartakistenaufstand nieder und bot als Reichswehrminister (1919/20) Truppen zur Zerschlagung der Münchner Räterepublik auf. — Otto Gessler, demokratischer Politiker, war von 1920-28 Reichswehrminister; mit Seeckt leitete er den Aufbau der Reichswehr. Rays Kommentar: „Hier, zu Pferd, im Rock und in der Hand einen Marschallstab, Noske, der sozialdemokratische Ludendorff, der Mörder vom März 1919. Er sitzt auf seinem Tier wie ein Zinnsoldat, der nur durch den Zapfen in einem Loch gehalten wird. Der zu kleine Kopf ist in einen zu großen Hals festgeschraubt und die gerötete Nase zwischen zwei hohle Wangen. Beine und Arme sind an Häkchen aufgehängt. Er wird vielleicht die Soldaten-Automaten, die er mustert, umwerfen, und sie werden explodieren mit den drei Handstielgranaten, die sie auf dem Bauch tragen.“